Buchbesprechung von Thomas Barth
Stuber, Martin u.a. (Hg.), Kartoffeln, Klee und kluge Köpfe: Die Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern OGG (1759-2009). Bern: Haupt-Verlag 2009. 309 Seiten
Nicht nur in Sachen direkte Demokratie, auch in der Reform der Landwirtschaft und im bäuerlichen Bildungsstreben ist die Schweiz seit Jahrhunderten Vorreiter gewesen. Die OGG war im 18.Jh. als Reformsozietät des Kantons Bern gegründet worden, wurde im 19.Jh. zum Landwirtschaftsverein und im 20.Jh. schließlich bäuerliche Bildungsinstitution. Bei der Gründung 1759 herrschte in Europa eine unsichere Versorgungslage, neben dem Wüten des Siebenjährigen Krieges hatte es zwei Missernten in Folge gegeben. Die Gründer der OGG orientierten sich an den großen Wissenschaftsakademie und Gelehrtengesellschaften, etwa in Stockholm, Kopenhagen oder Göttingen, aber auch an ökonomisch-patriotischen Sozietäten in Dublin, London und Rennes. Ziel war die Suche nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, ihre Anwendung in der Landwirtschaft und ihre Vermittlung an die bäuerliche Bevölkerung. Kluge Köpfe gab es glücklicherweise viele in Bern, Frauen und Männer, von der ersten Bienenforscherin bis zum Pionier der Güllenwirtschaft, von der Vorkämpferin des bäuerlich-hauswirtschaftlichen Unterrichts bis zum Praktiker des integrierten Landbaus. Im schwergewichtigen, reich bebilderten Band wird auf über 300 Seiten die 250jährige Geschichte der OGG hauptsächlich an Profilen von Einzelpersonen dargelegt, deren Schicksal ebenso fasziniert wie ihre Persönlichkeit. Etwa die aus Aarau im Aargau stammende Pfarrfrau von St.Stephan, Susanna Magdalena Schmid, die im Jahr 1784 die silberne Medaille der OGG verliehen bekam. Pfarrer Schmid war Ehrenmitglied der OGG, seine Frau hatte ein Nesselgarn aus heimischen Brennnesseln produziert, nachdem sie einer zeitgenössischen Enzyklopädie, dem „Dictionnaire universel de Commerce“ von Savary, diese aus Kamtschtka importierte Idee entnommen hatte. Die OGG hoffte auf die Behebung des Mangels an Rohstoffen für die Textilindustrie der Schweiz, Hanf und Flachs waren knapper und teurer als die verbreitete Brennnessel. Nesseltuch fand freilich in der Schweiz nicht viele Anhänger, war in Frankreich jedoch eine Weile recht beliebt und in Deutschland bis ins 20.Jh. noch in Gebrauch (S.131). Um die Kultivierung der Kartoffel machte sich Samuel Engel sehr verdient, der unter dem Eindruck der europaweiten Hungerkrise 1773 eine umfangreiche Schrift zur Propagierung der Erdäpfel publizierte. Engel hatte sich 60 verschiedene Sorten beschafft und in der Schweiz getestet –rund ein Drittel davon befand er für alpines Klima geeignet. Besonders frühe Kartoffeln lagen ihm dabei am Herzen, da in der Zeit bis zum Beginn der Getreideernte die meisten Hungertoten zu beklagen waren. Engel präsentierte sogar ein verfahren, ein nahrhaften Brot aus den Erdknollen zu backen und erhielt 1772 eine eigens für ihn vom Rat in Nyon geprägte Triptolemus-Medaille, nach dem griechischen Heros benannt, der als Begründer und Beschützer des Ackerbaus gilt (S.123). Mit seinen zahlreichen Abbildungen von Pflanzen, Tieren, Personen und Gerätschaften vermittelt das Buch einen anschaulichen Überblick über die Geschichte nicht nur der Berner OGG, sondern der mitteleuropäischen Landwirtschaft überhaupt, vom 18.Jh. bis heute.