Pankaj Mishra: Freundliche Fanatiker
Thomas Barth
Es ist eine klarsichtige Analyse der politischen Irrwege unserer Zeit – jenseits der eurozentrischen Perspektive: Pankaj Mishra untersucht in seinem neuen Buch „Freundliche Fanatiker: Über das ideologische Nachleben des Imperialismus“ die Auswirkungen des Imperialismus auf die heutige Welt und wie imperialistische Ideen und Strukturen weiterhin in verschiedenen Formen fortbestehen. Der bekannte Schriftsteller und Publizist kritisiert die selbstzufriedenen Gedankengebäude des Westens und zeigt, dass der Mythos vom angeblich überlegenen Westen bis heute kaum hinterfragt wird.
Erst in jüngerer Zeit dringen Stimmen aus dem Süden mit ihrer diesbezüglichen Kritik in unsere Debatten vor. Etwa der indische Buchautor Pankaj Mishra, der für seine Kolonialismus-Kritik „Aus den Ruinen des Empires“ den Leipziger Buchpreis erhielt, mit „Das Zeitalter des Zorns“ einen internationalen Bestseller landete und durch seine Liberalismus-Kritik „Freundliche Fanatiker“ aktuell erneut die Wut konservativer Feuilletons auf sich zog. Mishra weigert sich aus gutem Grund, die dort kolportierte Mär von Indien als „größter Demokratie der Welt“ zu bestätigen.
Böse Zwillinge: Imperialismus und Liberalismus
Mishra analysiert die historischen und ideologischen Wurzeln des Imperialismus und zeigt auf, wie sie bis heute in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen präsent sind: Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus werden in der Erzählung vom demokratischen Aufstieg vertuscht. Simple, von Ressentiments geprägte Welterklärungen werden zum Mainstream. Mishra beleuchtet so die Rolle von Fanatismus und Extremismus in diesem Kontext und argumentiert, dass diese Ideologien oft aus imperialistischen Denkmustern entstehen.
Das Buch bietet eine kritische Perspektive auf die globalen Auswirkungen des Imperialismus und regt dazu an, über die historischen Kontinuitäten in der heutigen Welt nachzudenken. So entstand der Neoliberalismus aus der Angst der Weißen um ihre Vorherrschaft. Und der westliche Liberalismus ist gar nicht so liberal, denn er definiert die eigene Kultur als die maßgebliche und brandmarkt andere Entwürfe als rückständig oder autoritär. Im vorliegenden Essayband schaut Mishra besonders auf die USA und Großbritannien als die Mächte, die seit dem 19. und 20. Jahrhundert Vorreiter im Bestreben waren, einen rassistisch geprägten, wie Mishra sagt, „imperialistisch gesinnten Liberalismus“ durchzusetzen – mit verheerenden Folgen, wie die Gegenwart zeigt.
Die wahren Feinde der Demokratie aber sind jene, meint Mishra, die angeblich ihre Werte verteidigen: Dies zeige der in den USA tief verwurzelte Rassismus ebenso wie die Angst dortiger Machteliten vor islamistischen oder lateinamerikanischen Invasoren. Mit konkreten Beispielen hält Mishra den Westeliten einen Spiegel vor und macht sichtbar, wie brüchig das Fundament ist, auf dem unsere westliche Welt steht: Eine freiheitliche Demokratie, in der Gleichheit und Menschenwürde verwirklicht sind, ist noch lange nicht erreicht und wenn unsere Medien Parlamentswahlen westlicher Machtart als allein seligmachenden Weg zu einer Mitbestimmung der Bevölkerung hinstellen, wird dies oft als liberal-koloniale Herrschaftsattitüde gesehen.
Mishra attackiert den aktuell wiedergewählten Präsidenten Indiens, Narendra Modi und dessen neoliberalen Hindu-Suprematismus. Mishra kritisiert auch die neokoloniale Ignoranz des Nordens, die Modi huldigt, und verweist auf den Erzliberalen O’Brian:
„Als Conor Cruise O’Brian in den 1960er Jahren Afrika und Asien besuchte, fiel ihm auf, dass viele Menschen in den früheren Kolonien ‚von dem Wort „Liberalismus“ angewidert waren‘. Sie sahen darin ‚eine beschönigende Maske, die eine zutiefst habgierige Gesellschaft vor der von ihr ausgeraubten Welt aufsetzt.“ (Mishra 2021, S.113)
Liberale „Bland Fanatics“
O’Brian habe nicht verstanden, warum man den Liberalismus für eine Ideologie der Reichen hielt, weil sie genau die Regeln zu universellen Werten erhob, die Entstehung und Fortbestand des Kapitalismus begünstigen. Mishra beschreibt, wie kolonialer Rassismus, Unmenschlichkeit und Überlegenheitskult in liberalen Ideologien gedeiht und spätestens mit Tony Blairs „New Labour“ auf ehemals sozialistisch oder wenigstens sozial gestimmte Politik übergreifen konnte. Die Idee der Republik, des Parlamentarismus selbst wurde dadurch zunehmend unglaubwürdiger:
„Die französische und die US-amerikanische Republik, die allen Menschen demokratische Rechte versprachen, setzten zugleich eine globale Hierarchie durch, in der die Rechte einigen wenigen vorbehalten blieben und allen übrigen vorenthalten wurden.“ (Mishra 2021, S.178)
Dabei stand auch die rassisch begründete Ausschließung von Anfang an „im Zentrum des liberalen Universalismus“. Von Nixon über Reagan und Trump, von Thatcher über Blair und den Brexiteer Boris Johnson, verfolgt Mishra die immer extremer werdende Ideologie westlicher Herrschaftseliten. Sein Programm ist die Enthüllung der verborgenen Schattenseiten einer von westlichen Medien sorgfältig glorifizierten Machtelite:
„Die freundlichen Fanatiker bemühten sich sehr, ihre parfümierte Vorstellung angloamerikanischer Überlegenheit vor der anrüchigen Vergangenheit des Völkermords, der Sklaverei und des Rassismus -wie auch vor dem Gestank der Korruption in den Wirtschaftsunternehmen- zu schützen…“ (Mishra 2021, S.24)
Dabei ist „Freundliche Fanatiker“ noch eine eher freundliche Übersetzung, denn der Originaltitel „Bland Fanatics“, hebt im Wort „Bland“ noch andere Seiten hervor: zwar milde, höflich, einschmeichelnd, aber auch kühl, ironisch -die listige Arroganz des Kolonialisten schwingt deutlicher mit als im Deutschen. Als ersten Vertreter der bland fanatics knöpft sich Mishra den Kennedy-Biografen und bekennenden Bilderberg-Conférencier Niall Ferguson vor. Der von der BBC hofierte schottische Historiker strebe nach einer Reinwaschung nebst Rivival des Imperialismus. Mishra deutet an, Ferguson trete dabei in Fußstapfen von Nazi-Befürwortern und Rassisten wie T.L.Stoddard, der in den USA der 1920er Jahre mit faschistoiden Bestsellern die Angst vor Schwarzen schürte.
Stoddard gilt, was Mishra nicht erwähnt, laut Wikipedia als wichtiger Stichwortgeber des deutschen Nationalsozialismus. Nicht nur dämonisierte er Juden als „eigene Bastard-Rasse“ und verleumdete sie als „Gefahr für die europäische Zivilisation“: In seinem Buch The Revolt Against Civilization. The Menace of the Under Man (1922; dt. Der Kulturumsturz. Die Drohung des Untermenschen, 1925) identifizierte er den Bolschewismus mit einem rassisch definierten Judentum und dieses wiederum mit dem „Untermenschen“. Der Nazi-Ideologe Alfred Rosenberg griff diese hetzerischen Behauptungen Stoddards in Der Mythus des 20. Jahrhunderts auf, und machte damit das zynische Unwort „Untermensch“ zum nationalsozialistischen Schlagwort.
Ferguson begnügt sich damit, den Imperialismus für seine angeblichen Bemühungen um Handelsfreiheit und sogar zur Abschaffung der Sklaverei zu preisen (S.12). Ob diese durch oder nicht eher gegen die Imperialisten abgeschafft wurde, dürfte zumindest strittig sein, ergänzt der Rezensent, unstrittig dagegen, dass die Hauptimperialisten durch Sklavenhandel und -ausbeutung reich wurden. Die verkrampft-feindselige Haltung heutiger Westeliten gegenüber anderen Kulturen wurzele, so Mishra, in solch dunklen Ideologien und ziele weiterhin auf skrupellosen Machterhalt ab.
Mishra, Pankaj: Freundliche Fanatiker: Über das ideologische Nachleben des Imperialismus, Frankfurt/M. 2021, S.Fischer Verlag, 24,00 Euro