08/8/16

Böse Sowjet-Fantastik

Arkadi und Boris Strugatskij, Die Last des Bösen, Frankf./M. 1991, Ullstein Verlag

Rezension von Thomas Barth

Die Handlung des Romans bewegt sich in vier ineinander verschachtelten Rahmenhandlungen. Ort: Taschlinsk, fiktive Provinzstadt in der Sowjetunion; Zeit: ca. 50 Jahre in der Zukunft; Art: utopische Groteske mit mystisch-esoterischen Elementen. Der Ich-Erzähler, dessen Identität als Igor Wsewolodowitsch Mytarin erst am Ende offenbart wird, schreibt ein Buch über seinen Mentor, den “Großen Lehrer” Georgij A. Nossow, genannt G.A. Dafür zitiert Igor umfangreich aus seinem 40 Jahre alten Tagebuch, in welchem er wiederum Zitate aus einem ominösen Manuskript “O3” darlegt, welches G.A. ihm damals gab. In diesem als phantastisch gekennzeichneten Manuskript wimmelt es von Rückblenden in biblische Zeiten, die auf die Vergangenheit von dort handelnden, anscheinend unsterblichen Personen, Ahasver Lukitschs und des Demiurg, verweisen.

Vor 40 Jahren war Igor fanatischer Jünger des G.A. und stand ihm im Kampf um eine alternative Jugendkolonie vor den Toren der Stadt, der “Flora”, bei. Die Flora-Jugend verweigert die Teilnahme an Arbeit und Konsum, praktiziert freie Liebe und Drogenrausch. Als nach einem Rockkonzert auch noch Autos und Fensterscheiben zertrümmert werden, blasen die Bürger von Taschlinsk zur Angriff. Nur G.A., erster Pädagoge am legendären Lyzeeum, einer Lehrerschule, tritt für die Flora ein. Ein blutiges Pogrom braut sich zusammen. Auch G.A. und seine Schüler geraten ins Kreuzfeuer, man demonstriert und fordert die Schließung der Eliteschule. Igor liest derweil im geheimnisvollen Manuskript O3, welches von einem Astronomen namens Manochin hinterlassen wurde. Manochin bekommt den Versicherungsvertreter Lukitsch als Zimmergenossen zugewiesen und erkennt bald, daß dieser mehr als nur Versicherungen verkauft. Aus seiner zuweilen feuerspeienden Aktentasche zieht er Verträge in linksläufiger Schrift in welchen seinen Kunden viel Geld und Lebenserfolg zugesichert wird, gegen die Überlassung ihrer “nicht-materiellen unkörperlichen Substanz”. Der bald auftauchende Chef von Lukitsch, der Demiurg, ist noch unheimlicher; dennoch macht Manochin ein Geschäft: Eine astrophysikalische Theorie von ihm wird plötzlich zur Wahrheit, er hingegen leistet dem Demiurgen Handlangerdienste. Rückblenden, deren Verbindung zu “O3” unklar bleibt, beschreiben Lukitschs und des Demiurgen Vergangenheit als Jünger des biblischen Jesus, bzw. Propheten; die Geschichte Jesu wird dahingehend erläutert, daß Judas -ein gutmütiger Schwachsinniger- auf Jesu Geheiß den Verrat beging, Johannes dagegen einen Fluch der Unsterblichkeit auf sich lud und zum Sammeln menschlicher Seelen überging, während der biblische Johannes in Wahrheit ein Jünger des Unsterblichen war und dessen Worte im gemeinsamen Exil auf Patmos literarisch ausschmückte. Lukitsch und der Demiurg scheinen ein unheimliches Experiment mit Manochin, vielleicht auch ganz Taschlinsk oder gar der ganzen Menschheit vorzubereiten, dessen Ziel möglicherweise die Beseitigung alles Bösen oder aber dessen Verwirklichung sein könnte. Auch G.A., dessen Sohn sich als Anführer der Flora entpuppt, scheint mit Luktisch ins Geschäft gekommen zu sein, wie dessen Auftauchen im Gesichtskreis des Ich-Erzählers Igor letztlich nahelegt. Die Flora zerstreut sich freiwillig, G.A. mußte anscheinend fliehen -doch hier bricht das Tagebuch ab. Th. Barth 8/1995

Arkadi Strugatskij, geb. 1925, Sowjetunion, und Boris Strugatskij, geb. 1933, Sowjetunion; Die Last des Bösen, (Otjagoschtschenije slom), Ullstein Verlag 1991. Ort: Taschlinsk, fiktive Provinzstadt in der Sowjetunion; Zeit: ca. 50 Jahre in der Zukunft; Rezension Nr. 5 für Romanführer, Hamburg, Oktober 1995, Thomas Barth