03/7/24

Digitale Mündigkeit

Leena Simon

Computer sind komplex. Sie bis ins letzte Detail zu verstehen, grenzt an Unmöglichkeit. Doch wer Wert auf ein freies und selbstbestimmtes Leben legt, kommt um ein Mindestmaß an Computerverständnis nicht umhin. Denn die Digitalisierung würfelt unsere Gesellschaft ganz schön durcheinander. Damit wir für die technischen Entwicklungen als Gesellschaft Verantwortung übernehmen können, sollten wir unabhängig davon entscheidungsfähig sein. Um mündig zu sein ist es nicht nötig, alles immer und in jedem Augenblick perfekt zu machen. Digitale Mündigkeit bedeutet Verantwortung für das eigene Handeln im digitalen Raum selbst zu tragen.

Was ist digitale Mündigkeit?

„Mündigkeit“ ist zunächst ein Rechtsbegriff. Er bedeutet, dass ein Mensch verantwortlich für sein Leben ist. Historisch leitet er sich ab von altdeutsch Munt, der Bezeichnung für die Verantwortung des früheren Hausherren über seine Frau, Kinder und Gesinde. Mündig konnten damals nur Männer werden, nämlich dann, wenn sie aus der Munt des Vaters heraustraten und für ihr eigenes Leben Verantwortung übernahmen. Frauen gingen über von der Munt des Vaters in die Munt des Ehemannes. Heute ist Mündigkeit vor allem ein rechtlicher Status, der einem Menschen z.B. das Wahlrecht oder das Recht, die Ehe einzugehen, zuspricht.

Mündig sein bedeutet Verantwortung für das eigene Leben zu tragen.

Neben der rechtlichen Bedeutung gibt es auch eine philosophische Definition von Mündigkeit. Immanuel Kant griff den rechtlichen Begriff auf und wendete ihn auf eine ganze Gesellschaft an. Er vergleicht die Geschichte der Menschheit mit dem Heranreifen eines Kindes. Damit legte die Aufklärung die Grundlagen der modernen Demokratie.

Wir tragen also doppelte Verantwortung: Für unser eigenes Leben und für den Fortbestand unserer Gemeinschaft. Dieser Verantwortung müssen wir uns bewusst sein, vor allem dann, wenn wir uns im Internet bewegen. Denn wir tragen ebenfalls Verantwortung für den Fortbestand unserer Kommunikationsgemeinschaft..

Doch Kant warnte damals schon, dass es nicht möglich sei, ad hoc mündig zu werden, wenn man zuvor noch gar nicht frei war. Mündigkeit ist Übungssache. Auch in der digitalen Welt: Menschen werden mit unfreier und komplizierter Software konfrontiert, die ihnen gar nicht die Möglichkeit bietet, deren Funktionsweise zu studieren. Der Umgang mit dem Computer wird oft nur minimal und oberflächlich antrainiert und später nicht mehr hinterfragt.

Heimliche Entmündigung

Meist nehmen wir gar nicht mehr so deutlich wahr, wo und wie wir überall entmündigt werden. Wenn wir einen Kredit nicht erhalten, weil uns eine Datenbank (anhand der statistischen Eigenschaften unserer Nachbarn) als nicht zuverlässig eingestuft hat, oder einen Job nicht antreten dürfen, weil wir vermeintlich Asthmatiker sind (dabei hatten wir nur für den Vater die Medikamente gekauft): Wir kennen diese Gründe nicht und können daher nicht beurteilen, wie sehr die weltweite Datensammlung schon unseren Alltag beeinflusst. Wie soll man da noch Verantwortung für das eigene Leben übernehmen?

Die Filterblase

Um im großen Datendickicht den Überblick zu wahren, wird im Internet – auch zu unserem Nutzen – vieles für uns personalisiert. Beispielsweise die Suchergebnisse, werden von der Suchmaschine auf uns optimiert. Das ist praktisch, denn so findet man viel schneller das, was man wirklich sucht. Doch es ist auch problematisch, da wir meist nur stets das angezeigt bekommen, was wir schon kennen.

Eli Pariser nennt das die „Filterblase“. Treffer, die unsere Gewohnheiten angreifen, oder eine Gegenposition zu unserer Meinung darstellen, sehen wir immer seltener. Und so bewegen wir uns mehr und mehr in einer Umgebung, die nur scheinbar neutral die Realität darstellt: In Wirklichkeit befinden wir uns in einer Blase, die uns die eigene Weltvorstellung als allgemeingültig vorspielt. Und das ist Gift für einen freien Geist, der sich ständig hinterfragen und neu ausrichten können möchte. In Konflikten liegt großes Wachstumspotential, um das wir uns berauben, wenn wir vor lauter Bequemlichkeit andere Meinungen einfach ausblenden.

Verantwortungsbewusstsein

Gegen Personalisierung und heimliche Entmündigung können wir uns zunächst nicht wehren. Daher ist es besonders wichtig, sich diese Phänomene stets ins Bewusstsein zu rufen. Wer sich dabei erwischt, ein Google-Ergebnis unterbewusst als „neutrale Suche“ verbucht zu haben, ist schon einen Schritt weiter, als wer noch immer glaubt, sie sei tatsächlich neutral.

Der erste und wichtigste Schritt in die digitale Mündigkeit ist Verantwortungsbewusstsein. Verantwortung tragen bedeutet nicht, immer alles richtig zu machen, sondern die richtigen Fragen zu stellen und sich mit den Konsequenzen des eigenen Handelns zu konfrontieren. Machen Sie sich stets bewusst, wie viel Ihnen nicht bewusst ist und verhalten Sie sich entsprechend. Unterstützen und schützen Sie Strukturen, die Transparenz und Offenheit ermöglichen, und hinterfragen Sie Strukturen, die Ihnen vorschreiben wollen, was Sie tun oder denken sollen. Üben Sie sich in Eigenwilligkeit, wenn Ihnen Technik Vorschriften machen möchte. Besonders wichtig dabei: Üben Sie, auch Menschen oder Systeme zu hinterfragen, denen Sie vertrauen. Das ist besonders schwer, aber genau hier sind sie besonders leicht hinters Licht zu führen.

Leena Simon: Digitale Mündigkeit. Wie wir mit einer neuen Haltung die Welt retten können, 336 Seiten, Hardcover, 32,00 EUR, ISBN: 978-3-934636-49-1

Dieses Buch weist Wege in die digitale Mündigkeit und liefert das Rüstzeug zum kritischen Denken und Handeln. Denn mit Mut, Entschlossenheit und Übung können wir wieder mündig sein. Dann finden wir auch die Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Online bestellen oder mit der ISBN: 978-3-934636-49-1 im Buchhandel bestellen. Buchvorstellung im Blog von Digitalcourage.

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06/24/12

Facebookpflicht in Schule

Darf man Kinder von einer Schulveranstaltung ausschließen, weil ihre Bilder nicht auf Facebook veröffentlicht werden dürfen?

Intuitiv ist wohl allen klar: Es kann nicht angehen, dass Kinder von einer Schulveranstaltung ausgeschlossen werden, weil ihre Eltern der Veröffentlichung ihrer Fotos (auf Facebook) widersprochen haben.
Hier die philosophische Untermauerung zu diesem Gefühl.

Mitadlndem Finger werden die ausgeschlossen, die sich nicht an Faceook verkaufen wollen

Mit tadelndem Finger werden die ausgeschlossen, die sich nicht an Facebook verkaufen wollen.

Autor: Ingo Kurpanek

Golem.de kommentierte kürzlich eine Randnotiz der Goslarschen Zeitung, nach der sechs Grundschüler von einer Schulveranstaltung (ein Geschichtenerzähler besuchte die Klasse) an einer Grundschule in Braunlage ausgeschlossen wurden, weil deren Eltern es untersagt hatten, dass Fotos ihrer Kinder auf Facebook veröffentlicht werden dürfen. Das wirft einige Probleme auf, die nicht nur sozialer und politischer Natur sind, sondern auch philosophische Grundlagen betreffen. Es geht um die Frage der Selbstbestimmung – und darum, wie man diejenigen, die noch nicht vollständig über sich selbst bestimmen können vor möglichen Gefahren schützt.
Für Erwachsene ist es gänzlich normal, dass sie selbst darüber entscheiden
können, ob sie ihre Daten, Fotos oder sonstige Inhalte bei Facebook veröffentlichen und mit anderen Leuten teilen möchten. Wir gehen davon aus, dass jede erwachsene Person, die nicht unter etwaigen psychologischen Normabweichungen leidet, ein autonomes, sprich selbstbestimmtes, Wesen ist. In der Philosophie gibt es verschiedene Kriterien, die man erfüllen muss, um eine solche Selbstbestimmung zu erlangen.

Immanuel Kant machte hier in der Grundlegungsschrift der Metaphysik der Sitten den ersten Vorschlag: Ein vernünftiger Mensch muss, vermittels seines Willens, in der Lage sein, sich selbst ein Gesetz zu geben:

Der Wille wird als Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß, sich selbst zum Handeln zu bestimmen. (Kant, GMS S. 427 AA)

Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass diese vorgestellten Gesetze solche sein sollen, die alle anderen vernünftigen Menschen nicht bloß als Mittel, sondern auch als Zweck an sich betrachten sollen. Einfach gesagt: Man darf Menschen zwar, als Mittel gebrauchen, aber nur dann, wenn man sich vorstellen kann, dass dieser Gebrauch in ein allgemeingültiges Gesetz einfließen könnte, dem dann auch jeder andere, vernünftige, Mensch beipflichten würde – und vor allem, wenn man berücksichtigt, dass diese Menschen auch selbst ein Zweck sind. Daraus wird leider nicht klar, was nun ein „Zweck“ ist – und Kant hilft uns hier auch wenig weiter. Es lässt sich aber annehmen, dass vernünftige Menschen nicht ausschließlich dazu benutzt werden dürfen, irgendetwas anderes zu erreichen.
Wer bis hier hin durchgehalten hat, wird sich fragen „Ja, schön – und was hat das jetzt mit der Veröffentlichung von Kinderfotos oder überhaupt irgendwelchen Fotos auf Facebook zutun?“
Die Antwort ist recht naheliegend, wenn auch nicht unbedingt sofort deutlich. Bevor wir zu den Kindern kommen, müssen wir aber noch einen Moment lang bei den Erwachsenen bleiben: Jeder vernünftige Mensch ist in der Lage sich selbst das Gesetz zu geben, dass Fotos von ihm auf Facebook veröffentlicht werden sollen. Aber Moment! Kann es ein vernünftiges Gesetz sein, Fotos von sich auf Facebook zu veröffentlichen? Und könnte ein vernünftiger Mensch einem solchen Gesetz überhaupt zustimmen? Bedenkt man die Tatsache, dass man der Kontrolle über seine Inhalte verlustig geht und Facebook die Vermarktungsrechte daran überträgt, so erscheint das äußerst fragwürdig.

Immerhin reden wir hier von einem Gesetzescharakter – was, ausformuliert, nichts anderes bedeutet als Folgendes:

Fotos von dir und/oder deinen Kindern sind auf Facebook zu veröffentlichen, auch dann, wenn du möglicherweise jedes Recht an ihnen verlierst und sie zur Vermarktung ohne monetäre Gegenleistung freigibst.

Noch problematischer wird es, wenn man bedenkt, dass die Grundschulkinder in diesem Falle (vermutlich!) als Mittel, nämlich dem der Werbung für die besagte Veranstaltung respektive der Schule und nicht als Zweck an sich gebraucht werden.
Nun, ich, als vernünftiger Mensch, könnte einem solchen Gesetz nicht zustimmen.
Womit widerlegt wäre, dass es zu einem allgemeinen Gesetz werden kann, dass ein jeder dazu verpflichtet ist, Fotos von sich oder seinen Kindern auf Facebook zu veröffentlichen. Daher kann hier auch keine Forderung danach abgeleitet werden kann. Wenn es also keine solche Pflicht gibt, mit welchem Recht werden dann die Kinder, deren Fotos nicht veröffentlicht werden dürfen, von der Schulveranstaltung ausgeschlossen? Der Ausschluss war unrecht.

Kommen wir nun etwas genauer zu den Grundschulkindern. Bei Kindern gehen wir davon aus, dass sie noch nicht vollständig autonom handeln können. Ihnen fehlt oft
noch die vernünftige Einsicht in die komplexen Zusammenhänge der Welt. Das ist für uns Erwachsene ja schon schwer genug. Kinder lernen erst noch, was es bedeutet, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu handeln und die Konsequenzen ihres Handelns abzuschätzen. Nicht ohne Grund haben Eltern das Recht weitgehend zu bestimmen, was ihre Kinder dürfen und was nicht – und was mit ihnen geschehen darf und was nicht. Das gehört ganz einfach zu ihren erzieherischen Pflichten.
Wenn nun also Kinder, deren Eltern einer Fotoveröffentlichung auf Facebook widersprochen haben, von einer Schulveranstaltung ausgeschlossen werden, dann heißt das mit anderen Worten: „Gebt euren Kindern ein Gesetz, dem ihr selbst aus vernünftigen Gründen nicht zustimmen könntet – ansonsten schließen wir sie von einem Teil des kulturellen Lebens und der Ausbildung aus.“
Fassen wir also noch einmal zusammen: Was hier an der erwähnten Grundschule in Braunlage passiert ist, ist nicht nur fragwürdig, was den Umgang mit dem Datenschutz und der Erziehung zu medialer und informationeller Selbstbestimmung angeht. Es ist ein moralisch verwerflicher Eingriff in die Autonomie der Eltern – und vor allem der sich noch in Ausbildung befindlichen Autonomie ihrer Kinder. Die Vermutung, dass die Kinder, im kantischen Sinne, bloß als Mittel zur Werbung und nicht auch als Zweck an sich selbst gebraucht werden, ist naheliegend, zumal Facebook als privates Unternehmen alle auf ihm veröffentlichten Inhalte vermarktet. Ebenso ist jeder Inhalt, der auf Facebook veröffentlicht und geteilt wird indirekt ein Inhalt, mit dem Aufmerksamkeit für eine Person, ein Produkt oder ein Immaterialgut (Musikvideos etc.) erregt werden soll – mit anderen Worten: Werbung!

Total vernetzt - Nur wer sich anschließt wird nicht ausgeschlossen.

Total vernetzt – Nur wer sich anschließt wird nicht ausgeschlossen.

Genauer bezogen auf diese Schule ließen sich somit drei verschiedene Aspekte von Werbemitteln ausmachen:

1. Wirbt die Schule mit der Veröffentlichung von Fotos der Veranstaltung für sich selbst. Hier muss man sich aber fragen, warum dies nicht im „offenen Netz“ passiert und im kleinen, geschlossenen Rahmen von Facebook, in dem nur diejenigen etwas davon mitbekommen, die entweder gezielt danach suchen oder aber „Fans“ der Schul-Seite sind.

2. Es wird Werbung für Facebook gemacht! Möglicherweise geschieht dies, ohne dass es den verantwortlichen Lehrer überhaupt bewusst ist. Möglicherweise wollen sie nur „mit der Zeit gehen“. Dennoch sinkt mit der Teilnahme einer Schule als pädagogische Einrichtung die Hemmschwelle für die Nutzung des sozialen Netzwerkes. Und damit auch die Gefahr, dass über den Umgang mit den eigenen Daten nicht weiter nachgedacht wird. Hier stellt sich dann nämlich die Frage, ob Lehrerinnen und Schüler über ausreichend Medienkompetenz verfügen, um überhaupt zu wissen, wie mit den ins Netz gestellten Informationen umgegangen wird.

3. Lässt sich die Möglichkeit der Werbung durch Facebook nicht aus der Welt schaffen. Eine Schule und damit natürlich auch Kinder sind eine ideale Zielgruppe für Werbetreibende. So könnte man den Besuchern der Schul-Website (deren Daten über den Social Graph, was, einfach erklärt, eine Darstellungsmöglichkeit über Alter, Geschlecht, Herkunft, Familienstand und co. der Besucher einer Facebook-Seite ist, ermittelt werden können) gezielt Produkte anbieten. Von Schreibgeräten über Schulrucksäcken bishin zu Prepaid-Mobilfunkkarten ist hier einiges denkbar.

In welchem Sinne die Kinder, respektive ihre Fotos, einen Zweck an sich überhaupt darstellen könnten, erschließt sich ebenfalls nicht, denn immerhin sind sie ja gar nicht in der Lage, sich selbst aus vernünftigen Gründen das Gesetz zu geben, Fotos von sich auf Facebook zu veröffentlichen – denn was schon kein vernünftiger Erwachsener kann, das kann einem Kind erst recht nicht zugetraut werden.
Niemand sollte dazu gezwungen werden (und der Ausschluss von einer Schulveranstaltung ist nichts anderes als ein Zwang, der durch eine soziale Repression verursacht wird), sich selbst eine Regel aufzuerlegen oder eine Regel auferlegt zu bekommen, die er allein schon aus Vernunftgründen nicht akzeptieren kann. Jemanden dann, ohne dass es ein Recht darauf gäbe, vom kulturellen Leben auszuschließen, um ihn zu einer entsprechenden, seiner eigenen Handlungsautonomie widersprechenden, Handlung durch sozialen Druck zu zwingen, muss an dieser Stelle moralisch getadelt werden.
Soziale Repression für die Verweigerung einer Nutzung von Facebook gibt es in vielen Zusammenhängen und es handelt sich hierbei um ein prinzipielles Problem.
Wenn der Druck jedoch durch Schulen ausgeübt wird, z.B. auch von Lehrern, die Hausaufgaben o.ä. über Facebook organisieren (die Absicht, nah an den Schülerinnen zu unterrichten ist ja durchaus zu begrüßen) oder in diesem Fall, bekommt es eine ganz neue Brisanz. Zumal Lehrer (und Schulleiterinnen!) Vorbilder sind.

Quellen: