12/28/24

Isabella Hermann: Science-Fiction-Einführung

Isabella Hermann: Science-Fiction zur Einführung, Hamburg 2023, Junius Verlag

Buchkritik von Thomas Barth

Isabella Hermann fragt sich in ihrer hochinstruktiven Einführung, wie SF-Literatur und -Filme neue Technologien, sozialpolitische Wertesysteme, globale Politik reflektieren und inwiefern wir dies nutzen können. Die Einleitung beginnt augenzwinkernd mit einem Blick in die aktuelle Animationsserie „Love, Death & Robots“, wo die selbstverschuldete Apokalypse der Menschheit nur Roboter überdauert haben; die nehmen es mit Humor, dass auch auf dem Mars keine Menschen, sondern nur intelligente Katzen überlebten; typische Heilsversprechen des Silicon Valley werden dabei schwarzhumorig entlarvt. Isabella Hermann schreibt keine Genre- oder Mediengeschichte, ihr geht es um die Inhalte der SF in unserer „Welt, die durch ständigen Fortschritt geprägt ist.“ (S.10) Als Politikwissenschaftlerin interessieren sie SF-Werke „in einem diskursanalytischen Sinn“ als Texte, die durch sozialpolitische Aussagen und intertextuelle Verbindungen auf Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft hinweisen.

Kapitel 1 Was ist Science-Fiction und was kann man damit machen? SF vermittelt Ideen, Werte, Ängste und Hoffnungen, ermöglicht Reflexion und Gedankenspiele. Hermann modelliert SF „als ein Kontinuum zwischen dem tatsächlich Möglichen und dem Metaphorischen“ (S.14). Das Mögliche ist dabei künftig wissenschaftlich-technisch denkbar und sozialpolitisch realisierbar, SF mithin auch „narrative Technikfolgenabschätzung“; das Metaphorische sei demgegenüber Bild, Projektionsfläche und Gedankenexperiment, „die Zukunft selbst im Grunde eine Metapher“; z.B. versinnbildliche im dystopischen Film „Blade-Runner“ (1982) die geniale Filmkulisse des düsteren L.A. einen damals schon zeitgenössischen „unmenschlichen Hyperkapitalismus“ (S.18). Vermittelt würden implizite wie explizite Werturteile über aktuelle Trends und Ereignisse, gesellschaftspolitische Aspekte, Sehnsüchte und Ängste des Menschseins sowie philosophische und ethische Fragen (S.22). Sie sieht SF als Teil der Tradition utopischer Literatur von Morus‘ „Utopia“ über Mary Shelleys „Frankenstein“ bis zu „Star Trek“ und grenzt sie von Horror und Fantasy ab, die jedoch SF sein können, „wenn die Geschichten nach plausiblen Kriterien begründet werden. (S.31) Hermann zitiert den SF-Autor und –Experten Dietmar Dath, der SF von Religion, Mythos, Märchen und Sage abgrenzt. Mit dem Horrorgenre sieht Hermann Überschneidungen wie das „Alien-Franchise“ (seit 1979) oder Zombie-Filme. In ihrer Einführung will sie den Fokus auf Themen legen, die „gerade vermeintlich oder tatsächlich die Gegenwart einholen: Künstliche Intelligenz, Eroberung des Weltraums und Klimawandel“ (S.38). In den folgenden drei thematischen Kapiteln praktiziert sie diese politologische Diskursanalyse jeweils an etlichen Werken, meist Romanen, Filmen, Serien und erörtert dabei politische Strukturen, Werte und Weltanschauungen in und hinter der SF-Story.

Kapitel 2 Roboter und Künstliche Intelligenz beginnt mit der Google-KI LaMDA, die vom deshalb suspendierten Google-Mitarbeiter Blake Lemoine für ein tatsächlich über Bewusstsein verfügendes Wesen gehalten wurde. (Falls dies ein Marketingtrick war, scheint der bislang nicht aufgeflogen zu sein.) Schon der Kino-SF-Klassiker „2001: A Space Odyssee“ (1968) hatte mit „HAL 9000“ eine KI an Bord, deren Bewusstsein sie morden ließ, aus Furcht, abgeschaltet zu werden. Hermann diskutiert KI und Robotik, Asimov’s Robotergesetze, und den Facebook-Algorithmus, der zwecks Profitmaximierung Hassrede förderte, bis hin zu Mr.Data, einem Androiden aus Star Trek, der seine Rechte höchstrichterlich einklagen kann. Anhand des Kinofilms „Ex Machina“ (2014) geht es um Gyndroids, Fembots, Sexismus und Genderfragen, wobei der beseelte Sexroboter „Ava“ für Frauenbefreiung stehe, während das KI-Sprachsystem GPT-3 von OpenAI zu frauenfeindlichen und rassistischen Äußerungen tendierte (S.65). Solche fehlerhaften KI widersprechen der Idee des „Solutionismus“ aus dem Silicon Valley, der alle Probleme mit Big Data lösen wolle und dabei laut SF-Dystopien wie in The Circle (2013) oder im Film Zero (2021) zu totalitären Regimen führen könne. Die Terminator- und Matrix-Franchises behandeln den Überlebenskampf der Menschheit gegen selbstgeschaffene KI. Unter „Cyberpunk und digitale Welten“ verweist Hermann auf William Gibsons genrebildende Romantrilogie „Neuromancer“ (1984) sowie die Matrix-Filme; sie verweist in der Realität das Projekt „Metaverse“ von Mark Zuckerberg, das eine Digitalwelt entwickeln will, sowie auf Elon Musk, der mit „Neuralink“ Schnittstellen zwischen Hirn und Computer bauen will –wie bei Gibson beschrieben. Transhumanistische Cyberpunk-Ideen eines mit Technik verschmolzenen und optimierten Menschen sieht sie als Metaphern für eine „Real zunehmende Digitalisierung der Welt“. Gegenentwurf zum Cyberspace der digitalen Welt sei „der Weltraum als grenzenloser Sehnsuchtsort“ (S.84).

Kapitel 3 Die Eroberung des Weltraums startet bei Elon Musk der mit seiner Firma SpaceX 2017 öffentlich die baldige Besiedelung des Planeten Mars proklamierte, Amazon-Milliardär Jeff Bezos schiele realistischer auf einen beginnenden Weltraum-Tourismus für Multimillionäre. Literarisch dienten Marsbewohner als Prototyp des meist feindseligen Aliens in der SF Tradition, von H.G.Wells „“Krieg der Welten“ (1898) bis zur SF-Satire „Mars Attacks!“ (1996). Krieg gegen Aliens berge jedoch ein die Menschheit einendes politisches Potential, wie schon 1965 Susan Sontag erkannt hätte und heutige Politikwissenschaft weiterverfolge; so wird „dem Kontakt mit dem Weltraum die Kraft zugeschrieben, die Menschheit einen zu können.“ (S.97) Dies zeige sich auch in SF-Ideen zur Kooperation der USA mit China oder Russland. Das Star-Trek-Franchise hat ein eigenes Kapitel, das erörtert ob seine politische Ausrichtung wirklich ungetrübt liberale Demokratie und Menschenrechte propagiere und die kommunistische Utopie einer nicht-kapitalistischen Welt materiellen Überflusses zeichne. Dagegen stehe die militärisch-hierachische Organisation der im Zentrum stehenden „Sternenflotte“ und eine milde-imperialistische „Föderation der Planeten“, mit den (sehr US-amerikanisch agierenden) Menschen an der Spitze. Star Trek habe jedoch viele Meriten durch frühes Überwinden von sexistischen und rassistischen Diskriminierung, besonders in den USA. In neueren Space Operas habe besonders der deutsche Autor Dietmar Dath in seinen Romanen „Venus siegt“ (2015) und „Neptunation“ (2019) „gewaltige marxistische Ideenfeuerwerke“ für die Selbstbestimmung der Menschen gezündet, für ihre Befreiung von Ausbeutung und für individuelle Rechte auf ein erfülltes Leben (S.114). Tarkowskis Verfilmung des gleichnamigen Romans von Stanislaw Lem „Solaris“ (1972), gelte als sowjetisches Gegenstück zu Kubricks schon erwähntem Film „2001“, beide zeigten exemplarisch den „Sense of Wonder“, der SF-Konsumenten eine Art von Bewusstseinserweiterung bescheren könne.

Kapitel 4 Klimawandel und Umweltkatastrophen beginnt mit der Klimaaktivistin Greta Thunberg, zitiert ihre Reden vor UNO und Weltwirtschaftsforum. Extremwetter, Dürren, Ressourcenkriege, Anstieg des Meeresspiegels und Welthungers infolge Klimawandel seien schon Realität geworden. Die SF-Literatur reagiere heute verstärkt mit einem neuen Subgenre, der Climat Fiction (CliFi), habe jedoch schon in zahlreichen Dystopien davor gewarnt, jeweils auf dem Stand der Klimaforschung. Warnte die Wissenschaft in den 1950ern vor einer neuen Eiszeit, speziell nach einem Atomkrieg vor dem nuklearen Winter, so sah sie seit den 1970ern eine Hitzekrise kommen. Der Bericht an den Club of Rome (1972), die Gründung des IPCC durch die UNO 1988 machten Hitze-, Dürre- und Überschwemmungs-Szenarien zu Themen der SF, letztere etwa im Kevin-Kostner-Film „Waterworld“ (1995), Umweltzerstörung und Überbevölkerung zeigte etwa schon der Ökothriller „Soylent Green“, dt. „2022 – Die überleben wollen“.

Viel Raum nimmt der Roland-Emmerich-Blockbuster „The Day after Tomorrow“ (2004) ein, wo die Hitzekrise den Golfstrom kollabieren und die USA schockartig einfrieren lässt. Der Film habe auf das „Versagen der Klimapolitik unter US-Präsident G.W.Bush jr.“ hingewiesen, der „sich geweigert hatte, das 1997 ausgehandelte Kyoto-Protokoll umzusetzen“ (S.142). Übersehen wird im Buch der mindestens ebenso wichtige Film „The Day After“ (1983), an dessen Namen sich Emmerich anlehnte: In diesem viel beachteten Atom-Schocker wurde der Tag nach dem nuklearen Schlagabtausch in quälenden Bildern von radioaktivem Siechtum und Tod der US-Bevölkerung gezeigt; der amtierend US-Präsident Ronald Reagan, selbst Schauspieler und rechtskonservativer Hardliner, soll erst nach diesem Film von seinem konfrontativen Kurs gegenüber der UdSSR abgerückt sein. Bis dahin wollte seine Regierung einen auf Europa begrenzten Atomkrieg riskieren, um die Sowjets totzurüsten oder per Erstschlag zu „Enthaupten“; die Nato-“Nachrüstung“, gegen die in Westdeutschland eine breite Friedensbewegung unter Führung der damaligen Grünen (!) massiv auf die Straße ging, sollte mit Pershing-Raketen diese Drohpolitik durchsetzen. Reagans Einlenken mit Gorbatschow könnte also auf „The Day After“ zurückgehen -ein schöner Beleg für Hermans Thesen vom politischen Einfluss der SF.

Wie „Blade Runner“ und „Alien“ den Neoliberalismus für Privatisierung, Lohndumping und Sozialabbau kritisierten, gerät heute dessen profitgesteuerte Klima- und Umweltzerstörung ins Visier der SF. Das neue Subgenre „Solarpunk“ stelle den Krisen des Kapitalozäns (Donna Haraway 2016) Optimismus entgegen: utopische Solartechnologie und queere-punkiger Widerstand gegen Konzerne.

Schluss: Science-Fiction als Bildung betont den auch pädagogischen Nutzen des SF-Genres. Depressionen bei jungen Menschen nehmen zu und ein wichtiger Grund dafür sind Zukunftsängste. Kriege, Inflation, Armut und speziell die immer bedrohlicher werdende Öko- und Klimakrise verdichten sich zu einer „Multi-Krise“. Das Genre der Science-Fiction (SF) bietet nicht nur Eskapismus durch gute Unterhaltung, sondern befasst sich auch mit Zukunftsängsten sowie hoffnungsvollen Utopien. Dystopische SF-Szenarien warnen vor künftigen Gefahren, prangern aber auch gegenwärtige Probleme an, etwa Kriegstreiberei, Profitgier, Umweltzerstörung, koloniale Ausbeutung. Auch im Schulunterricht wird das SF-Genre gerne genutzt, als Inspiration für Gedankenexperimente, Projektionsraum für Zukunftsängste und -hoffnungen und als sozialpolitischer Gegenwartskommentar, vielleicht sogar als Anregung zur philosophischen Reflexion über die Bedingungen des Menschseins.

Die populärkulturelle Darstellung imaginärer Ereignisse bildet für viele gerade jüngere Menschen einen Zugang zu Debatten um aktuelle Zukunftsfragen. SF-Blockbuster erreichen und bewegen Millionen, vermitteln ihnen Wertaussagen über wissenschaftlich-technischen, aber auch gesellschaftlichen Fortschritt. So ließen sich „Zukunftssorgen und Climate Anxiety“ in Bildern und Texten reflektieren und durch „positive Zukunftswerte wie im Solarpunk“ lindern (S.171). Ein weiterer pädagogischer Pluspunkt bildet den Schlusssatz: „SF vermag beim Nachdenken zugleich wunderbar zu unterhalten.“ (S.173)

Diskussion

Isabella Hermann hat in ihrer emphatischen Einführung ein anno dazumal noch als Schund abgekanzeltes Genre in vielen wichtigen Aspekten instruktiv dargestellt. Ihre zielsicheren Einschätzungen stellen zahlreiche treffende Bezüge von SF und Politik dar, die ihr Modell zwischen dem metaphorischen oder prognostischen Pol verortet, wobei sie vielleicht den Spuren der strukturalen Analyse des SF-Theoretikers und –Autors Stanislaw Lem folgt (vgl. Lem 1979). Diesen lehnt sie allerdings mit Dietmar Dath eher als Misanthropen ab (S.79) –Roda Becher nannte Lems SF den Traum eines Kybernetikers, der alles Regelkreisen unterwerfen wolle, aber zur kritischen Sicht auf die Naturwissenschaft unfähig sei (Becher 1983 S.104f.). Die strukturalen Abgrenzungen, die der Fantastik-Theoretiker Todorov weiter trieb, überwindet Daniel Lüthi, um der „postmodernen Fragmentierung“ und mit Foucault einer netzförmigen Welterfahrung anstelle von linearen Polaritäten den Vorzug zu geben (Lüthi 2017 S.159).

Angesichts des monumentalen Themas und der bewältigten Literaturmassen bleibt es nicht aus, dass sich kleine Ungenauigkeiten einschleichen. Für technische SF-Erfindungen, etwa eine Zeitmaschine, habe, so Hermann, der SF-Kritiker Darko Suvin den Begriff „Novum“ geprägt (S.23); leider sind die Quellen (Suvin 1976), und vier Seiten später (Suvin 1979) ohne Seitenangabe, die Suvin-Texte fehlen zudem im Literaturverzeichnis; vermutlich ist Suvins einschlägige „Poetik der Science Fiction“ (1979) gemeint, wo dieser jedoch betont, dass er den Begriff „Novum“ bei Ernst Bloch entlehnt habe, und dieser bei Suvin nicht „in erster Linie wissenschaftliche Tatsachen“ (Suvin 1979 S.95) betreffe, sondern sich auf das beziehe, „was Bloch die ‚Frontlinie des historischen Fortschritts‘ nannte“ (Suvin 1979 S.113). Bei der Erörterung von Cyberpunk, Transhumanismus und (technischem) Posthumanismus anhand des Junius-Einführungsbandes von Janina Loh (S.82), vermisst man schmerzlich den Hinweis auf den von Loh (2018) gegenüber dem „technischen“ präferierten „kritischen Posthumanismus“, dessen an der Postmoderne-Bewegung orientierte Anthropozentrismus-Kritik in wichtigen Aspekten den postmodern-dekonstruktiven Cyberpunk eher betrifft (vgl. Gözen 2012, S.130 ff.). Diese kleinen Fragezeichen schmälern jedoch nicht den Wert des Buches, sie regen eher zum Weiterlesen und –denken an.

Fazit

Das kleine, gut lesbare Buch gibt einen Überblick über SF-Literatur, Filme und Serien. Isabella Hermann zeigt die politische, kulturelle und soziale Wirkung dieses beliebten Genres, reflektiert Inhalte, deren metaphorische Deutung und die Vermittlung von Werten zu aktuellen Themen wie KI, Klimakrise, Kolonialismus. Die Einführung richtet sich an Studierende der Literatur, generell an Menschen, die sich Gedanken über die Zukunft machen, und explizit auch an Pädagogen, die Science-Fiction-Werke zu Bildungszwecken verwenden wollen.

Isabella Hermann: Science-Fiction zur Einführung, Hamburg 2023, Junius Verlag, 208 Seiten, 15,90 Euro, ISBN 978-3-96060-321-4

Dr. Isabella Hermann ist Politikwissenschaftlerin, Ko-Direktorin des Berlin Sci-fi Filmfestes, Analystin und Speakerin im Feld der Science-Fiction, Mitglied im Vorstand der Stiftung Zukunft Berlin.

Literatur

Becher, Martin Roda: Der kybernetische Denker: Stanislaw Lem, in: An den Grenzen des Staunens: Aufsätze zur phantastischen Literatur, Frankfurt/M. 1983, Suhrkamp, S.101-105.

Gözen, Jire Emine: Cyberpunk Science Fiction: Literarische Fiktionen und Medientheorie, Bielefeld 2012, transcript Verlag.

Hermann, Isabella: Science-Fiction zur Einführung, Hamburg 2023, Junius Verlag.

Lem, Stanislaw: Science Fiction –strukturalistisch gesehen, in: Rottensteiner, F. (Hg.), ‚Quarber Merkur‘: Aufsätze zur Science Fiction, Frankfurt/M. 1979, Suhrkamp, S.17-32.

Loh, Janina: Trans- und Posthumanismus zur Einführung, Hamburg 2018, Junius Verlag.

Lüthi, Daniel: Jenseits der Todorovschen Grenze: Versuch eines Brückenschlags zwischen Fantastik und Fantasy, in:Klimek, Sonja u.a. (Hg.): Funktionen der Fantastik. Neue Formen des Weltbezugs von Literatur und Film nach 1945, Heidelberg 2017, Universitätsverlag Winter, S.155-171.

Suvin, Darko: Poetik der Science Fiction, Frankfurt/M. 1979, Suhrkamp.

01/8/19

Bio-Cyperpunk: Peter Watts‘ Mahlstrom

Peter Watts: Mahlstrom, München 2009, W. Heyne, 511 S., 9,99 Euro. (or. Maelstrom)

Der Cyberspace heißt „Mahlstrom“ und ist bevölkert von digitalen Lebensformen. Nur privilegierten Firmen ist noch zuverlässige Datenverarbeitung möglich -in einer mühsam mit Firewalls verteidigten „Zuflucht“. Teil 2 der Rifters-Trilogie

Rezension von Thomas Barth

Zeit: Irgendwann im nächsten Jahrhundert. Ort: Pazifik, Nordamerika. Autor: Peter Watts, Kanadier aus Toronto, arbeitete angeblich lange als „Unterwasserbiologe“. Ärgerlich: Der Klappentext plaudert ein Geheimnis aus, das der Leser eigentlich auf den ersten 130 Seiten langsam lüften sollte: „Eines Tages wird in den Tiefen der Meere eine prähistorische Lebensform entdeckt, die eine tödliche Bedrohung für das Leben auf der Erde bedeutet. Kurzerhand wird ein Nuklearschlag durchgeführt, der das Virus für immer vernichten soll –ohne die im Tiefseelabor tätigen Wissenschaftler vorzuwarnen. Doch eine der Forscherinnen überlebt die Explosion. Sie trägt das Virus in sich. Und sie will Rache…“

Der Anfang kommt deshalb etwas langweilig rüber, doch erfreulicherweise wartet Peter Watts mit genug neuen Wendungen auf, um seinem Roman immer wieder neuen Drive zu geben –die Handlungsstränge sprießen aus dem Text wie Tentakeln einer Seeanemone. Und zum Glück hat der Klappentextschreiber einiges nicht ganz verstanden, z.B. handelt es sich nicht um ein Virus…

Freunde der schaurigen Anti-Utopie kommen auf jeden Fall auf ihre Kosten, insbesondere Hypochonder, denn Seuchen aller Art plagen den künftigen Planeten; die Nationalstaaten sind belanglos geworden, Quarantänegrenzen durchziehen Land und Megacities. Die Quebecer wird’s freuen: Nach Wasser- und Energiekriegen hat Französisch das Englische als dominante Weltsprache abgelöst, doch Computer-Simultanübersetzung erübrigt Sprachkenntnisse ohnehin. Cyberpunk-like rüsten sich die Menschen mit Bioimplantaten auf, besonders die Rifters, Tiefsee-Cyborgs wie die rachsüchtige Lenie Clark. Umweltflüchtlinge sperrt man in Massen-KZs an der Küste, der Erzähler schlüpft in die Haut einer KZ-Wächterin –künftig ein Heimarbeitsplatz zur Steuerung von „Mechfliegen“–, eines Partygirls, die dem totalitären Regime frech die Stirn bietet, dann kommt aber eine evolvierende KI-Einheit ins Spiel (Neuromancer als kybernetischer Entwicklungsroman).

Am Tag, nachdem Patricia Rowan die Welt gerettet hatte, kam ein Mann namens Elias Murphy zu ihr, um ihr erneut ein schlechtes Gewissen zu machen. Eigentlich war das gar nicht nötig. Die taktische Anzeige ihrer Kontaktlinsen konfrontierte sie ohnehin schon unablässig mit einer Flut von Tod und Zerstörung, mit Zahlen, die viel zu ungenau waren, um als Schätzwerte durchzugehen. Es waren erst sechzehn Stunden vergangen, und selbst die Hochrechnungen waren nichts als Mutmaßungen. Dennoch versuchten die Maschinen unbeirrt, das Geschehen in Zahlen zu fassen: so und so viele Millionen Menschenleben, so und so viele Billionen Dollar. Als ließe sich die Apokalypse irgendwie dadurch abwenden, dass man sie bezifferte.“ P.Wattson, Mahlstrom

Weitere Hauptfigur ist ein mächtiger „Gesetzesbrecher“, ein hirntechnisch manipulierter Bürokrat mit der Befugnis Quarantänegrenzen zu ziehen und Dekontaminationen einzuleiten, bis hin zu Massenverbrennungen mit Mann und Maus: „Als Achilles Desjardinds die Bühne betreten hatte, war Cyberspace ein von Wehmut erfülltes Fantasiewort gewesen, ähnlich wie Hobbit oder Biodiversität.“

Der Datenraum heißt nun „Mahlstrom“ und ist bevölkert von digitalen Lebensformen, die privilegierten Firmen nur in einer mühsam mit Firewalls verteidigten „Zuflucht“ zuverlässige Datenverarbeitung ermöglichen. Nicht mal in seinen Cybersexfantasien ist Desjardins sicher vor Eindringlingen. Dank der ihm eingepflanzten Handlungsblockade, genannt „das Schuldgefühl“, ist Achilles zudem unfähig unmoralisch zu handeln, also gegen die Interessen seiner Arbeitgeber: Private Multis, Industriemafia und Konsorten beherrschen die Welt. Der fulminante Roman liefert nebenher Einblicke in die perverse Gedankenwelt einer biologistischen Philosophie des Freiheit-oder-Determinismus-Problems.

08/8/12

Technologie macht medial

Günther Anders Kritik und die Subversion der Cyberpunks

Autor: Thomas Barth, 2008

Cyber ist er. Aber auch punk?

Der pessimistischen Technikdeutung von Günther Anders zufolge sind wir heute nur noch Anhängsel der Technik, Rädchen im Getriebe, das uns antreibt.
Er nennt das: Wir sind „medial“;
wir sind nur noch Mittel zu einem Zweck, der uns nichts anzugehen hat. Pochte Kant mit seinem Kategorischen Imperativ noch auf das Recht auf menschliche Würde, indem man den anderen immer als Zweck, nie als bloßes Mittel sehen sollte, so läuft diese Forderung heute scheinbar ins Leere. Es ist (angeblich) kein Gegenüber mehr vorhanden, bei dem wir unser Menschenrecht einfordern könnten. Die Technik, unsere technologische Lebensweise, möchten wir nicht missen. Wenn wir so leben wollen, haben wir uns einzufügen und anzupassen, ein Rädchen im Getriebe des „Makro-Geräts“, der Megamaschine, des Luhmannschen „Systems“ zu werden, so wird von uns implizit verlangt. Explizit gelten die Menschenrechte, haben wir die Freiheit, nicht zu kooperieren, zu handeln, statt bloß mitzutun. Aber die Systeme der Technologie existieren nicht nur in der physischen Umwelt, die sie mit Bravour kontrollieren können, unsere Köper inbegriffen. Die Systeme der Technologie existieren auch in einer sozialen Umwelt, deren dominante Seite heute immer mehr die Ökonomie zu werden scheint.
Sie gehören jemandem, der sie zu seinem Nutzen arbeiten lässt, und mit ihnen auch die Menschen, die ihre Anhängsel sind.

Günther Anders Sorge galt bei der Entfaltung dieser Gedanken dem drohenden Untergang der Menschheit durch einen atomaren Schlagabtausch, der Apokalypse.
Diese zu verdrängen nannte er „Apokalypse-Blindheit“ und sah in der Medialität der Zeitgenossen deren Wurzel. Diese militärische Apokalypse ist derzeit mit Auflösung der Ost-West-Blockkonfrontation in den Hintergrund getreten, obgleich noch lange nicht abgewendet. Aber andere Apokalypsen sind hinzugekommen, Umweltzerstörung, neue Seuchen (evtl. als Auswuchs des militärischen Apparates) usw. Außerdem gilt das, was auf die „Apokalypse-Blindheit“ abzielte auch für die Blindheit gegenüber der apokalyptischen Lebenssituation von Milliarden Menschen, denen das Lebensnotwendigste vorenthalten wird — obgleich die Güter und Lebensmittel bei gerechter Verteilung für alle reichen würden. Die Arbeit am eigenen Untergang mag besonders plastisches Beispiel für irrationales Handeln sein, die am Untergang anderer ist jedoch nicht vernünftiger.

Aber was von unserem Arbeiten gilt, das gilt nun — und diese Tatsache ist weniger trivial, aber nichtweniger wichtig — auch von unserem /„Handeln“; /oder sagen wir lieber: auch von unserem /„Tun“, /denn das Wort „Handeln“ und die Behauptung, wir seien „Handelnde“, hat in unseren Ohren (was als Hinweis ernst genommen werden muß) bereits den Klang einer Übertreibung angenommen, Abgesehen von einigen wenigen Sektoren läuft unser heutiges „Tun“, da es sich im Rahmen organisierter, uns nicht übersehbarer, aber für uns verbindlicher Betriebe abspielt, auf konformistisches /Mit-Tun /heraus. Der Versuch, abzuwägen, in welchem Verhältnis die Anteile von „aktiv“ und „passiv“ in diesem oder jenem „Mit-Tun“ dosiert sind, abzugrenzen, wo das Getan-Werden aufhört und das Selber-Tun anfängt, würde ebenso ergebnislos bleiben wie der, eine mit dem Maschinengange konform gehende Bedienungsarbeit in ihre aktiven und ihre nur reaktiven Komponenten zu zerlegen. Die Unterscheidung ist zweitrangig geworden, das heutige Dasein des Menschen ist zumeist weder nur „Treiben“ noch nur „Getrieben werden“; weder nur Agieren noch nur Agiert werden; vielmehr „aktiv-passiv-neutral“. Nennen wir diesen Stil unseres Daseins /„medial“. /Diese „Medialität“ herrscht überall. Nicht etwa nur in denjenigen Ländern, die Konformismus gewalttätig, sondern auch in denen, die ihn sanft erzwingen.
(Günther Anders, Antiquiertheit Bd.1, Kap. Wir sind „medial“ S. 287)

CC-by-sa-Gnsin

Ob er auch freiwillig roboterhaft ist?

Die beobachtete Roboterhaftigkeit wird also nicht durch ein totalitäres Regime erzwungen, sie wird scheinbar freiwillig geübt. Der oder die Handelnde ist in diesem technologischen Regime ein Dissident, ein Fremdkörper, der Normalfall ist der Mittäter. Bloßes Tun, besser gesagt Mittun, ersetzt das bewusste Handeln, was eine teilweise Ausschaltung des Bewusstseins voraussetzt. Wie diese Ausschaltung vor sich geht, bleibt etwas unbestimmt. Steckt Erziehung dahinter, der alte Drill der autoritären Regime? Oder ist es die Verführung, die Verlockung, den bequemeren Weg zu gehen? Beides taucht bei Anders auf, die Verlockung durch die Massenmedien verschmilzt mit der Disziplinierung, die sich mehr auf den Körper zurück zieht.

Als Arbeitende sind die Zeitgenossen auf /Mit-Tun als solches /gedrillt. Und jene Gewissenhaftigkeit, die sie sich anstelle ihres Gewissens angeschafft haben (sich anzuschaffen, von der Epoche gezwungen wurden), kommt einem Gelöbnis gleich; dem Gelöbnis, das Ergebnis der Tätigkeit,an der sie teil nehmen, nicht vor sich, zu sehen; wenn sie nicht umhin können, es vor sich zu sehen, es nicht aufzufassen; wenn sie nicht umhin können, es aufzufassen, es nicht aufzubewahren, es zu vergessen — kurz: dem Gelöbnis, /nicht zu wissen, was sie tun. /Damit ist die Furchtbarkeit des heutigen moralischen Dilemmas bezeichnet.
(Günther Anders, Antiquiertheit Bd.1, Kap. Wir sind „medial“ S. 291)

Drill und Gelöbnis klingt an dieser Stelle etwas nach Disziplinarkultur, doch Anders führte im Kapitel „Die Welt als Phantom und Matrize“ bereits ausführlich aus, die massenmediale Verführung funktioniert. Im Arbeitsprozess ist der Körper immer noch gefragt, soll Befehle befolgen, wie geschmiert funktionieren, sogar eigene Initiative zeigen — nur soll er nicht das Ziel hinterfragen, zu dessen Mittel er gemacht worden ist. Initiative zeigen darf er nur in vollkommener Verschmelzung mit dem technologischen Regime, dessen Funktionsprinzipien ihm als Gipfel der Rationalität gelten sollen, vor allem aber in völliger Unterwerfung unter die Belange der Eigentümer der Technologien. Ihre Existenz wird ausgeblendet wo immer möglich; wo nicht, werden ihre Belange den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten gleichgesetzt.

Sie kennen die „Verlockung zum Mittun“.

Der äußere Drill bleibt also, wenn auch in gelockerter Form, denn die stramme Erziehung wollte über den Körper ja vor allem auch den Geist disziplinieren.
Aber der innere Drill wird mehr und mehr überflüssig. Er ist ersetzt durch die Verlockung zum Mittun. Dagegen Widerstand zu leisten, scheint sinnlos, denn es gibt scheinbar kein unterdrückendes Gegenüber, nur das „System“ des technologischen Regimes. Ein Regime, das angeblich objektiven ökonomischen Gesetzen folgt, die Entscheidungen der politischen Führungspersonen alternativlos machen. Die nicht mehr wirklich handelnden Entscheidungsträgerinnen behaupten, sie könnten nur noch Mittun, wie alle anderen auch.
„Eigenverantwortung“ heißt dabei nur, noch mehr von den Ansprüchen auf menschliche Würde aufgeben zu sollen, die man an das Regime haben könnte; etwa wenn die solidarische Umlage-Rentensysteme durch individuell anzusparende kapitalbasierte Altersvorsorge ersetzt werden soll, die aber nur die Mittel dem System der Finanzmärkte preisgibt. Auch „Eigeninitiative“ soll sich im Rahmen vorauseilenden Gehorsams abspielen.

Was besagt nun diese Schilderung des medialen Menschen für unser eigentliches Thema? Für die Frage nach den Wurzeln der Apokalypse-Blindheit? Inwiefern ist das „mediale Dasein“ eine dieser Wurzeln? In der Tat ist der Zusammenhang so eng, daß jeder Einzelzug der Medialität gleich gut als Ausgangspunkt verwendet werden kann. Von jedem führt der Weg mit gleicher Direktheit zur Apokalypse – Blindheit.

1. Da der mediale Mensch „aktiv-passiv-neutral“ ist, bleibt er, trotz der ungeheuren Rolle, die Arbeiten für ihn spielt, ja gerade in actu des Arbeitens, /indolent; /er „überläßt sich“. Das heißt: er rechnet mit einem „Weitergehen“ á tout prix, mit einem Weitergehen, das er selbst nicht zu verantworten braucht.

2. Da seine Tätigkeiten niemals in einem echten Telos, auf das er „aus gewesen“, ihren Abschluß finden, sondern immer nur durch Stoppungen, die seinem Tun selbst zufällig bleiben, hat er kein echtes Verhältnis zur /Zukunft. /Während der wirklich Handelnde und Planende durch sein Handeln einen Zeitraum entwirft, also Zukunft konstituiert, tritt das Tun des „medialen Menschen“ auf der Stelle. (…)
(Günther Anders, /Antiquiertheit Bd.1, Kap. Wir sind „medial“ S. 293)

Auch sie konsumieren die Zukunft. Ob sie sie auch planen?

Die Zukunft tritt der medialen Normalbürgerin nur als das, was geschieht, gegenüber, als das, wobei sie mittun soll und auch will. Aus der Zukunft kommen neue Technologien und Moden auf sie zu, die sie haben will und nicht planen.
Die Existenz dieses medialen Normalbürgers rotiert planlos im Zirkel von produzieren und konsumieren, als Tretmühle oder Luxuskarussell, je nach dem, wo er mehr gefragt ist. Seine Planung bezieht sich überwiegend auf den systemkonformen Drang, möglichst immer mehr am Konsumieren teilzunehmen. Das Regime der technologischen Systeme reklamiert Herrschaft ohne Herrschende zu verwirklichen, eine Herrschaft der Vernunft, die von Expertinnen reklamiert wird, die sich zu Technokraten aufschwingen.

Widerstand gegen das Regime wird als unvernünftig abgetan, denn das technologische System gilt als Inbegriff der so verstandenen Rationalität.
Auflehnung dagegen wird als Rückständigkeit gebrandmarkt und mit Ausgrenzung bestraft. Anpassung bedeutet dagegen freien Zugang zu allen Ressourcen, und damit Wohlstand und Freiheit. „Widerstand ist zwecklos, sie werden assimiliert“, droht das Kollektiv der Borg. Doch ein globales Dorf hört nicht auf, Widerstand zu leisten in der wuchernden Tele-Megalopolis.

Die Kultur der Cyberpunks steht auf Widerstand, sie widersetzt sich sowohl der Anpassung als auch der Ausgrenzung. Die Anpassung zu verweigern ist nicht schwer, man braucht nur der Verlockung nicht länger zu erliegen — das ist der Vorteil gegenüber totalitären Regimen. Aber alle Gewalt, die der Totalitarismus auf Formung seiner Untertanen verwendet, stehen hier zur Ausgrenzung zur Verfügung, zur Abschneidung vom Zugang zu Ressourcen. Die Erlangung von Zugang wird also zum Hauptproblem, vor allem Zugang zu Information. Dabei gilt es, den umgekehrten Zugang der Instanzen des Regimes zu den privaten Informationen des Individuums zu blockieren. Insbesondere beim widerständigen Subjekt. Der angepasst mittuende mediale Mensch wird dagegen weniger Privatsphäre benötigen und stellt heute seine Daten unbekümmert in sogenannte „soziale Netzwerke“des Web2.0. Er begreift nicht, dass ihm unüberschaubare staatliche und immer mehr privatwirtschaftliche ökonomische Konglomerate gegenüberstehen.

Kybernetiker nach der ursprünglichen Wortbedeutung. Das Wort „Cyber“ geht auf das altgriechische Wort für Steuerung (κυβέρνησις kybérnesis) zurück.

Die Szene der Cyberpunks, entsprungen aus einem Subgenre der SF, entwickelte sich seit den 80er Jahren und definierte sich über die Kombination von High Tech und Low Life (den Punk des urbanen Underground). In der Hackersubkultur der 80er und 90er fanden sich ihre Fans zusammen. Die Szene (falls man davon überhaupt sprechen kann) wird von Soziologen so beschrieben:

Ein Cyberpunk steht den neuen Kommunikations- und Informationstechnologien sehr positiv gegenüber, gleichzeitig hat er aber ein kritisch-politisches Bewusstsein in Bezug auf deren gesellschaftliche Verwendung entwickelt. Er sieht sich riesigen Korporationen gegenüber, die immer mehr an Stelle von Nationalstaaten treten.
(Winter, Rainer: Medien und Fans — Zur Konstellation von Fan-Kulturen, in:Kursbuch Jugendkultur. Stile, Szenen, Identitäten vor der Jahrtausendwende,Mannheim 1997, S. 40-53, S.48.)

Die von Cyberpunks, die hier mit Hackern und Haecksen im besten Sinne gleichgesetzt werden, entfaltete Kultur erobert die Netzmedien von den Konzernen zurück, wie sie zuerst von Militärs und staatlichen Telekommunikationsbehörden erobert werden mussten. Ihre Verknüpfung von Datenschutz für die Privatsphäre mit der Forderung nach Informationsfreiheit, freiem Zugang zu den Datenbanken (Lyotard) und Transparenz der Mächtigen lässt sich im Utopiemodell des Inversen Panoptikums beschreiben. Panoptismus (Foucault) beschreibt die Disziplinierung unserer westlichen Gesellschaften durch das Prinzip: Wenige unsichtbare Mächtige sehen viele Machtunterworfene und kontrollieren sie so. Invertiert ergibt sich die Forderung nach Umkehrung dieser Blickrichtung und der zumindest teilweisen Unsichtbarkeit für die Vielen.

Diese Forderung könnte ein Gegengewicht schaffen gegen die sonst ausufernde Macht des kontrollierenden Zentrums der Macht, dem aus den Informationstechnologien sonst immer größere und nicht mehr demokratisch kontrollierbare Macht zuwachsen würde.