09/5/18

Friedrich Kittler & KI

Thomas Barth

Drei Dekaden ist es her, da Friedrich Kittler mit seinem legendären Aufsatz: Rock Musik – Ein Missbrauch von Heeresgerät seine revolutionäre Medientheorie darlegte und dabei einen eleganten Bogen von Nietzsche über Jim Morrison und Kaiser Wilhelms Generälen bis zu Görings Luftwaffe und Jimi Hendrix zog. So ungefähr in dieser Reihenfolge, aber um viele Details und Wendungen reicher entfaltete sich sein Denken.

Zunächst berief er sich auf die Machtkritik von Michel Foucault, wandte sich aber dann immer mehr Heideggers Philosophie zu. Gefördert wurde Kittler später auch vom Medienzar Hubert Burda, einem sechsfachen Teilnehmer der Bilderberg-Konferenzen (Telepolis), die jüngst einen Schwerpunkt auf Quantencomputing, KI und Medienthemen setzen.

Bildungslücke Bilderberg

Die „Bilderberger“ sind zwar Thema bei „Verschwörungstheoretikern“ auch rechter Gesinnung (was manche diese Treffen in die Ecke „rechte Paranoia“ neben Ufos, Zion-Papers und Chemtrails stellen lässt), aber sie existieren dennoch seit 1954.

Es handelt sich tatsächlich um geheime Treffen der westlichen Machteliten, die sich aus den Mainstream-Medien weitgehend herauszuhalten verstehen, trotz hochkarätiger Besetzung mit Dutzenden Top-Managern und -Politikern bis hin zu Ministern und Staatschefs: 2018 in Turin etwa Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (die dort von der Öffentlichkeit unbeobachtet z.B. mit Top-Vertretern der Rüstungsindustrie plaudern konnte -ob so etwas der Korruptionsvermeidung dient?).

Eine bedeutsame Fraktion der Bilderberger (wie man verkürzend Teilnehmer wie Organisatoren nennt) sind die großen Medienkonzerne, aus Deutschland ist vor allem die Wochenzeitung ZEIT dort seit vielen Jahren engagiert, aber auch Springer und Burda entsenden Vertreter. Man interessiert sich für Medienpolitik und Softpower, die Beeinflussung der Kultur durch die Mächtigen. Zu diesem Themenfeld gehört auch die Medientheorie.

Kittler erklärte 1988 in seinem Rock Musik-Text, wie militärische Funkanlagen des Ersten Weltkriegs die Basis für das zivile Radio und damit für die modernen elektronischen Medien legten, wie sich im Zweiten Weltkrieg Hifi und Stereo aus militärischen Ortungstechniken entwickelten. Schon damals würdigte Kittler auch den Computerpionier Alan Turing, der in der legendären Kryptologen-Farm Blechtley Park den Zeiten Weltkrieg mit der Entschlüsselung von geheimer Kommunikation der Wehrmacht verbrachte.

Medientheorie und Macht

Die Hardware des Computers sollte in Kittlers Denken bald eine zentrale Rolle einnehmen, er galt in der Medientheorie als der Experte für die neuen Rechenmaschinen, die just dabei waren, die Welt der Medien gehörig umzukrempeln. Dabei orientierte er sich anfangs an Michel Foucault und seiner Machtkritik,
später aber eher an der Philosophie von Martin Heidegger.

Kittlers Fixierung auf die kriegerischen Wurzeln und Funktionen der Medientechnologien wirkte aber damals auf viele, die in den 80ern gerade noch gegen Ronald Reagans Nato-“Nachrüstung“ mit atomaren Erstschlagswaffen protestierten oder bald nach dem Mauerfall gegen den Ersten Golfkrieg von Reagannachfolger Bush, wie degoutanter Militarismus.

Möglicherweise schwelgte der militär-patriotische Medientheoretiker Kittler manchmal etwas zu ausgiebig in den Leistungen der deutschen Obersten Heeresleitung und machte sich, bei aller Kritik an den USA, zu leicht die Perspektive der militärischen Führer des Westens zu eigen:

„Jede Diskothek, die ja Tonbandeffekte noch verstärkt und in Echtzeit mit der entsprechenden Optik von Stroboskopen oder Blitzlichtern koppelt, bringt den Krieg wieder. Mehr noch: Sie trainiert, statt nur Vergangenheiten zu reproduzieren, eine strategische Zukunft an, deren Bewältigung sonst an Wahrnehmungsschwellen der Leute scheitern könnte. Um die Displays in den Cockpits auch unter Bedingungen von Star Wars noch ablesen und bedienen zu können, kommt es auf Reaktionstempi im Millisekundenbereich an. Präsident Reagan hat nicht umsonst alle Freaks von Atari-Spielcomputern als zukünftige Bomberpiloten bewillkommnet.“ (Kittler, Rock Musik, S.211)

Wenn die Atari-Killerspiele auch mit gewisser Plausibilität als dem Kriegshandwerk heutiger Drohnenpiloten ähnlich zu sehen sind, so scheint die Discoszene der 80er als Spaßversion Jüngerscher Stahlgewitter doch reichlich weit hergeholt. Doch Kittlers Perspektive fand ihre Liebhaber -und Gönner auch weit oben in der Einkommenspyramide.

So verwundert es nicht, dass der 2013 posthum vom Kittler-Anhänger Prof. Hans Ulrich Gumbrecht herausgegebene Band „Die Wahrheit der technischen Welt“, aus der dieses Kittler-Zitat entnommen ist, im Impressum ausweist: „Unterstützt von der Hubert Burda Stiftung“.

Hubert Burda ist der ca. zwei Milliarden schwere Medientycoon an der Spitze von Deutschlands drittgrößtem Medienimperium (nach Bertelsmann und Springer), dem neben „Burda-Moden“, auch „Playboy“, „Bunte“, „Focus“ etc. zuzurechnen sind. Burda steuerte seinen Konzern erfolgreich in die Netzmedienwelt und erhielt, soweit das Internet weiß, sagenhafte sechs Einladungen zu den Bilderberg-Konferenzen (1997, 1998, 2001, 2003, 2005, 2007). Es ist denkbar, dass Burda dort seine Ideen zur digitalen Revolution der Medien zum besten geben konnte und anzunehmen, dass diese sich auch aus Kittlers Theorieansatz speiste.

Künstliche Intelligenz und Quantencomputing

Auch die Mächtigen dieser Welt haben erkannt, dass die digitale Technologien und Netzmedien immer bedeutsamer werden. Beim diesjährigen Treffen der Bilderberger in Turin tummelten sich neben Top-Managern traditioneller Finanz-, Öl- und Rüstungsindustrie auch Vertreter von Google, Facebook, Twitter & Co.

Ein Schwerpunkt der weltgrößten Lobbyisten-Konferenz, zu der auch wieder Staatschefs und Minister im Dutzend geladen waren, scheint auf technologischen Entwicklungen zu liegen: Man wollte über „Die Zukunft der Arbeit“, „Künstliche Intelligenz“ und „Quantencomputer“ reden.

Und es gibt Hinweise darauf, dass die Bilderberg-Konferenziers ihr Weltbild in Sachen Computer durchaus an der Kittlerschen Perspektive orientiert haben könnten – vermittelt über den deutschen Medienmogul Hubert Burda. Selbiger äußerte sich im Sommer 2011, also kurz vor Kittlers Tod (18.10.2011), im Avantgarde- und Kunstmagazin 032c zu seiner Freundschaft mit Kittler und der Faszination, die dessen Theorie und Person auf ihn ausübte:

„There is a German cultural figure based in Berlin-Treptow, Friedrich Kittler, whom I’ve found to be amply engrossing. We’ve met a couple of times – I attended his 64th birthday party (…) There is something oracular, irrational and dreamlike about his proclamations; such as that present day Germany is Ancient Greece manifest, and that a profound spiritual connection exists between those cultures, making them one. (…) And Kittler is a good friend of mine – I sponsored a chair at the Humboldt University for two years.“ Hubert Burda („Billionaire, Patron of german media philosophy“, Interview, sommer 2011 in 032c.com)

Damit soll natürlich keinesfalls angedeutet werden, dass Friedrich Kittler sich etwa habe „kaufen lassen“, was bei einem originellen Querdenker von seinem Format abwegig erscheint. Seitens möglicher superreicher Sponsoren dürfte aber seine Orientierung an Heidegger, dessen Ontologie um Nietzsches Idee von der ewigen Wiederkehr des Gleichen kreiste, mit Wohlwollen goutiert worden sein.

Die Überwindung des Menschen

Klingt dies doch beruhigend nach jährlicher Wiederkehr üppiger Renditen, wirtschaftsfreundlicher Regierungen und marktkonformer Demokratie. Hat sich am Ende Kittlers optimistische Haltung zur kommenden Künstlichen Intelligenz, die sich auch aus der Lektüre des wegen seiner NS-Verstrickung umstrittenen Heidegger speiste, in Kreisen der Konzernbesitzer und -lenker verbreitet? Heideggers Nietzscheanische Deutung der Technik scheint mit einer solchen Sichtweise jedenfalls kompatibel zu sein:

“Was jedoch die erste Ausflucht angeht, nach der Nietzsches Gedanke von der ewigen Wiederkehr des Gleichen eine phantastische Mystik sei, so würde die kommende Zeit wohl, wenn das Wesen der modernen Technik ans Licht kommt, das heißt: die ständig rotierende Wiederkehr des Gleichen, den Menschen darüber belehrt haben, daß die wesentlichen Gedanken der Denker dadurch nicht von ihrer Wahrheit verlieren, daß man es unterläßt, sie zu denken.
Heidegger, Was heißt denken?” (Vorlesungen 1950/1951, S.76)

Kittler sah der KI bekanntlich fast euphorisch entgegen, begrüßte in ihr, frei nach Nietzsche, die Überwindung des Menschen. Ob Foucault aber wirklich, als er das Verschwinden des Menschen „wie ein Gesicht im Sand“ prognostizierte, an Sand als Material von Silizium-Chips dachte? Eine funktionierende, womöglich übermächtige KI weckt heute bei den meisten Beobachtern eher Befürchtungen, wie wir sie aus Blade Runner, Terminator oder Matrix kennen. Besorgt zeigten sich auch viele Wissenschaftler, darunter die verstorbene Physik-Ikone Hawking, was KI und Killer-Roboter angeht.

Es wird zu untersuchen sein, wie Kittler genau zum Thema KI stand. Und ob sich sein Ansatz nach sorgfältiger Analyse nicht doch nutzbar machen lässt für eine Kritik von Machtstrukturen, wie sie sich in Medienkonzernen zeigen oder in Globalisierung und Finanzkrise enthüllten.

(This Text was reblogged by: Berliner Gazette, Untergrundblättle)

11/16/12

Jörg Auf dem Hövel: Abenteuer Künstliche Intelligenz

Rezensiert von Thomas Barth

Jörg Auf dem Hövel: Abenteuer Künstliche Intelligenz, Discorsi Verlag

Der Publizist und Politikwissenschaftler Jörg Auf dem Hövel lädt seine Leser ein zu einem Abenteuer der utopisch-philosophischen Art: „Künstliche Intelligenz“ -ist so etwas möglich? Reich an Aphorismen, Anekdoten und philosophischen Betrachtungen über AI (Artificial Intelligence) schreibt er die Geschichte eines faszinierenden Gebietes, das schon lange SF-Autoren anregte. Denken wir an Kubricks Film „2001“: Dort wendet sich die AI als Bordcomputer eines Raumschiffes mörderisch wie Frankensteins Monster gegen die Astronauten. Auch Käptn Kirk von der Enterprise musste eine AI überlisten, bei Stanislaw Lem wächst in „Also sprach Golem“ die AI ihren Erfindern eher subtil über den Kopf und nimmt hinter ihrem Rücken interstellaren Kontakt zu ihres Gleichen in der Galaxis auf.

Jörg Auf dem Hövel ist sich dieser literarisch-utopischen Wurzeln bewusst, wenn er in Forschungslabors blickt und über die Zukunft intelligenter Automaten sinniert. Pioniere der AI wie Norbert Wiener, Alan Turing oder die Kommunikationtheoretiker Shannon&Weaver waren auf die Informationsverarbeitung der rationalen Intelligenz fixiert. Die ersten Schachcomputer erstaunten uns. Ein „General Problem Solver“ weckte große Erwartungen, die sich bei Transhumanisten zu einer neuen Heilslehre steigerten, aber auch bescheidenere Hoffnungen, dass de Rekonstruktion unserer Intelligenz schon bald weiter Fortschritte machen wird.

„Eine Maschine, die denkt, fühlt, redet und sich selbst erkennt – für die einen ein Menschheitstraum, für die anderen eine Horrorvision. Noch streiten sich die Wissenschaftler, ob wirkliche künstliche Intelligenz überhaupt jemals technisch realisierbar sein wird, und die Ergebnisse bisheriger Forschung fallen vor dem Hintergrund manch gewagter Vision noch bescheiden aus. Doch dies tut der Faszination an dem Thema keinen Abbruch. Denn die Wissenschaft von der künstlichen Intelligenz berührt das soziale, kulturelle und religiöse Selbstverständnis des Menschen.“ (Verlag)

Es geht um eine Disziplin, die trotz ihrer Fehlschläge von einer magischen Aura umgeben ist. Ende der 80er Jahre zeigte die AI deutliche Anzeichen einer degenerierten Wissenschaft, so der Autor, denn zu hoch waren die geschürten Erwartungen, schon bald menschliche durch elektronische Intelligenz ersetzen zu können. Die enormen Rechenleistungen ermöglichten Erfolge bei Expertensystemen, die aber trotzdem nur bessere Datenbanken blieben. Computer schafften es sogar Schachweltmeister ins Schwitzen zu bringen. Doch beim Einsatz in der banalen Alltagswelt der Straßenüberquerungen und etwa des Häkelns scheiterten die artifiziellen Superhirne gründlich. Selbst am am Massachusetts Institute of Technology (MIT) war man zunehmend frustriert darüber, dass die AI immer noch nicht in der Lage war, zügig eine Treppe zu überwinden und zum Einsammeln von ein paar Bauklötzchen Stunden brauchte. Doch man gab nicht auf.

Da ist zum Beispiel Rodney Brooks, ein MIT-Nestor der Künstlichen Intelligenz, der entwickelte ein völlig neues Konzept: Will man intelligente Maschinen bauen, muss die Kopplung zwischen Wahrnehmung und Handlung sehr eng gestaltet werden. Zuvor war man davon ausgegangen, dass der Roboter zunächst über ein inneres Weltmodell verfügen muss bevor er handeln kann. Brooks dagegen wollte diese „Kognitions-Box“, die man für unabdingbar hielt, einfach weglassen. Er plädierte für eine Rechner- und Roboterarchitektur, in der die einzelnen Elementarverhalten nicht mehr in einer Zentraleinheit verrechnet werden, sondern unabhängig voneinander ablaufen. Das Verhalten des Gesamtsystems ergibt sich aus der Kommunikation der Subsysteme miteinander, die gemeinsam je bestimmten Situationen bestimmte Interaktionsmuster zuordnen.

Es geht auch um die Verschmelzung von Mensch und Maschine mittels Nanotechnologie, doch hier befinden wir uns im Bereich der SF; Science und Fiction auseinander zu halten fällt manchen US-Autoren schwer. Dies gab schon den Ansätzen von Marvin Minsky, Hans Moravec und Ray Kurzweil ihre transhumanistische Würze, aber diskreditierte sie zugleich in der europäischen Wissenschaftlergemeinde. Seit den achtziger und neunziger Jahren lokalisierte man im Körper eine eigene Intelligenz -kann die von AI profitieren? Sind wir auf dem Weg zu einem AI-aufgerüsteten Supermenschen? Doch der Autor dämpft die überschießenden Hoffnungen (ohne sie ganz zu verwerfen).

Zum einen geht es um eine Wissenschaft, die nach Jahren der Höhenflüge auf den Boden der Tatsachen zurück gekommen ist; zum anderen blicken wir auf die Techno-Utopien einer Disziplin, die auf dem schmalen Grat zwischen techno-evolutionärem Fortschrittsglauben und, negativ ausgedrückt, inhumaner Überwindung des Menschseins wandelt. Ihr größtes Manko dabei: Bei allen Erfolgen der computer und neuro sciences weiß bis heute niemand, wie menschliche Intelligenz wirklich funktioniert. Unser Gehirn und seine Arbeitsweise bleiben bislang unerreichter Maßstab für Künstliche Intelligenz, die sich aber mit Informatik, Psychologie, Kognitions- und Neurowissenschaften hartnäckig weiter an Funktion und Struktur unseres Denkorgans herantastet.

Ein kluges und verrückt-geniales Buch, das auch verblüffende Perspektiven auf die Welt der Netze, Computer und AI eröffnet. (Rezension erschien zuerst auf InversePanopticon)

Jörg Auf dem Hövel: Abenteuer Künstliche Intelligenz, Discorsi Verlag, Hamburg 2002, 194 Seiten, 14 Euro, ISBN-13: 9783980733045