Jason Stanley: Wie Faschismus funktioniert, Neu-Isenburg 2024, Westend-Verlag, 214 Seiten, 22,00 €, AU 23,50 €, ISBN 9783864894435
Rezension von Thomas Barth
Thema
Droht uns eine Wiederkehr des Faschismus –auch und gerade in den “liberalen Demokratien” des Westens? Lassen sich heutige konservativ-reaktionäre “ultranationalistische” Politiker wie Trump, Orban, Giorgia Meloni oder Marine Le Pen mit Hitler, Goebbels und Mussolini vergleichen? Der Yale-Philosoph Jason Stanley arbeitet angesichts des Machtgewinns von “Ultranationalisten” in Parlamenten und Regierungen der USA, EU-Europas und anderer Ländern weltweit (Russland, Indien, Myanmar) Muster, Mythen und politische Taktiken eines Faschismus heraus, der sich heute immer besser zu tarnen versteht. Dies gelingt dank ausgefeilter Propaganda in Medien und digitalen Räumen, deren Kern jedoch, ganz traditionell, ein nationalistisches Aufhetzen gegen “die Anderen” bleibt, ein “wir gegen die”, die Minderheiten, die Migranten, das Ausland.
Auch in der aktuellen deutschen Faschismus-Debatte heißt es, heute beziehe die Neue Rechte ihre Taktiken aus Blaupausen des NS-Faschismus; denn fast alle Probleme würden etwa von der AfD und ihrer Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, „in pathologischer Manier dem Zustrom von Flüchtlingen angelastet“, deren Kriminalität faktenwidrig übertrieben werde (Elchlepp 2025, S.631f.); dies ist eine Sichtweise, die sich leider auch im Medien-Mainstream findet, etwa beim Ex-ARD-Mann und Bestseller-Autor Teske (2025). Bei aller Faschismus-Kritik ist der Yale-Professor Stanley keineswegs ein allzu linksorientierter Denker. Er steht nahezu kritiklos hinter Obama, Biden und Hillary Clinton und bleibt, wie zu zeigen sein wird, weitgehend blind für die Nähe zum Faschismus, die beim neoliberalen Raubtierkapitalismus, aber auch generell bei liberaler Politik inzwischen zu beklagen ist (vgl. Ishay Landa 2021).
Autor und Hintergrund
Prof. Dr. Jason Stanley (*1969) lehrt Philosophie an der Elite-Universität Yale (USA), außerdem in Toronto und an der Kyiv School of Economics. Er ist auch Autor von „How Propaganda Works“, woran sein „How Fascism Works“ auf Vorschlag des Verlages Princeton University Press anschließt (vgl S.203) und schon in 23 Sprachen übersetzt wurde; Stanley schreibt regelmäßig u.a. für die New York Times, die Washington Post und den Britischen Guardian. Das vorliegende Buch schöpft auch aus familiären Erinnerungen, v.a. aus den Memoiren seiner Großmutter Ilse Stanley, die im Deutschen Reich Widerstand gegen die Nazis leistete, hunderten anderen Juden zur Flucht aus dem KZ verhalf und 1939 in letzter Minute aus Berlin entkam (S.196); seine Mutter, Sara Stanley, habe „in West- und Osteuropa die Schrecken des Antisemitismus durchgemacht“ sowie nach 1945 den polnischen Nachkriegs-Antisemitismus (S.201), seine Stiefmutter, Mary Stanley, habe ihn in die US-Geschichte eingeführt, auch aus eigener Erfahrung in der US-Bürgerrechts-Bewegung; Jason Stanley dankt auch seiner Schwiegermutter Karen Ambush Thande, für Partizipation an deren Wissen über die afroamerikanische Tradition (S.203). Ein Vorwort zur dt. Übersetzung verfasste Prof.Dr. Rahel Jaeggi, die an der Humboldt-Uni Berlin Sozial- und Politische Philosophie lehrt sowie als Gastprofessorin an der Uni Yale war.
Aufbau und Inhalt
Einem Vorwort für die dt. Ausgabe von Rahel Jaeggi folgt eines des Autors für die US-Taschenbuchausgabe (vor Trumps Wiederwahl, gegen die sich Stanley in seinem Buch erkennbar einsetzt), dann kommen 10 Kapitel und ein Epilog; die Kapitelüberschriften kennzeichnen jeweils eine faschistische Taktik bzw. “eine der zehn Säulen faschistischer Politik”. Prof. Jaeggi wendet sich an ihr deutsches Publikum mit einer Warnung vor der Wiederkehr des Faschismus, leicht erkennbar in Gestalt der “in Teilen gesichert rechtsextremen” AfD, durch die wir es heute sogar schon im deutschen Bundestag mit “offen bekennenden Neonazis” zu tun hätten (S.9); dazu käme AfD-Chef Gauland mit seinem “Vogelschiss”-Vergleich für Nazi-Diktatur, Weltkrieg und Holocaust sowie der Potsdamer Skandal eines AfD-Treffens zum “Projekt Remigration”, traditonsbewusst (?) “in unmittelbarer Nähe zum Ort der Wannseekonferenz” (S.13). Stanley würde uns die Begriffe liefern, eine drohende “Normalisierung” faschistischer Taktiken und Methoden zu erkennen: Etwa SPD-Kanzler Olaf Scholz, der vom Cover des Spiegel-Magazins verkündete, man wolle jetzt “endlich im großen Stil abschieben”, habe rechtextreme Politik übernommen, von Migration als “Krise” zu reden, wobei das “tausendfache Ertrinken Geflüchteter im Mittelmeer” ausgeblendet würde (S.15f.).
Stanley warnt in seinem aktualisierten Vorwort vor Trump, verweist dabei auf Jair Bolsonaro in Brasilien und die 2018 in Spanien gegründete rechtsextreme Vox-Partei, die schon 2019 und wieder 2023 im Madrider Parlament die drittgrößte Fraktion stellte, auf die Schwedendemokraten, in Stockholm zweitstärkste Partei, ebenso die AfD in Deutschand, Giorgia Meloni, die “postfaschistisch” Regierungsmacht in Italien erlangte sowie Narendra Modi in Indien. “Hinter dieser transnationalen, ultranationalistischen Bewegung”, so Stanley, “stehen die Kräfte des Kapitals. Technologieriesen profitieren ebenso wie die Medien von dem dramatischen Aufeinandertreffen von Freund und Feind. Angst und Wut treiben die Menschen an die Wahlurnen, aber sie sorgen auch dafür, dass sie online bleiben und sich auf mediale Inhalte fixieren.” (S.27)
Nur wenn wir faschistische Politik unter ihrer aktuellen Maske erkennen, so Stanley, können wir ihren Verlockungen widerstehen, ihre Intrigen und Propaganda durchschauen und zu demokratischen Idealen zurückkehren. Er warnt vor “faschistischen Taktiken”, die auch Patriarchat, Familie und Sexualität einschließen. Das Buch handelt von den gemeinsamen Merkmalen faschistischer Bewegungen, von sich wiederholenden Mustern, Weichenstellungen und vor allem von aktuellen Tendenzen der Normalisierung des Faschismus; dies geschieht schleichend in unseren Medien und im öffentlichen Raum, auch und gerade in den westlichen “liberalen Demokratien”.
Das zentrale Konzept des Buches sind die „zehn Säulen des Faschismus“, die Stanley identifiziert und ausführlich in jeweils einem Kapitel erklärt:
- Die mythische Vergangenheit: Faschistische Bewegungen glorifizieren eine idealisierte und vielfacht nur fantasierte Vergangenheit der eigenen Nation bzw. des eigenen Volkes; darin gleichen sie Reaktionären, Nationalisten und Konservativen siehe z.B. Donald Trump mit seinem „Make America Great Again“ (Maga) oder Victor Orban, der Ungarn zum heroischen Verteidiger der Christenheit erklärt (S.54); ob auch Nethanjahu mit seinem Rückgriff auf biblische Geschichte für Landenteignungen in der Westbank hier einzuordnen wäre, diskutiert er nicht.
- Propaganda: Faschisten nutzen, wenig überraschend, Propaganda, um die öffentliche Meinung zu manipulieren und Feindbilder zu schaffen. “So wird aus einem gefährlichen Krieg um die Macht stattdessen ein Krieg, dessen Ziel Stablität ist, oder einer, dessen Ziel Freiheit ist.” (S.57) Konkrete Kriegsführung, wo bei den USA kein Mangel an Beispielen herrschen würde (etwa Grenada, Panama, Venezuela, Libyen, Syrien, Iran, Irak) nennt Stanley hier nicht.
- Anti-Intellektualismus: Dies betrifft keineswegs die “Eliten”, sondern allein eine kritische Wissenschaft und linksliberale Denker; der US-Rechtsextremist David Horowitz agitiert seit 40 Jahren gegen US-Professoren, sofern sie politisch nicht weit genug rechts stehen; seit Trump wird sein politisches “Säuberungs-Programm” der US-Universitäten “aggressiv vorangetrieben” (S.70); Studienrichtungen zu Klima-, Gender-, Black- oder Middle East-Studies werden als “Kulturmarxismus” verfolgt (lt.Anm.d.Übersetzers eine Verschwörungstheorie der Neuen Rechten, die an die NS-Propaganda gegen sog. “Kulturbolschewismus” anknüpft, Fn.S.73). Nicht bei Wahlen und Reichtumsverteilung –wo es naheliegender wäre- fragt Stanley nach Manipulation und Kulturkampf durch die oligarchische Kapitalseite, sondern bei den Universitäten, seinem eigenen Arbeitsumfeld: “Konservative Akteure stecken gewaltige Summen in das Projekt, rechte Ziele im Bildungswesen voranzutreiben.” Die Koch Foundation (von Ölbaron Koch, einem der reichsten US-Oligarchen, auch bekannt für seine Klimawandel-Leugner-Think Tanks) habe allein 2017 nicht weniger als 100 Millionen Dollar für die Förderung “konservativer Ideologien an ca. 350 US-Unis ausgegeben. (S.78) Ziel sei dabei, Stanley zitiert Victor Klemperer, uns zu einer gedanken- und willenlosen “getriebenen und gehetzten Herde” zu machen; weltweit werden derzeit Universitäten von Rechtsextremen attackiert, so Stanley, die dort angeblichen “Feminismus” oder “Marxismus” mundtot machen wollen (S.83). Dass bei solchen Eingriffen schon seit den 1970er Jahren auch Kritiker des neoliberalen Ansatzes der Ökonomie mundtot gemacht wurden, vor allem wenn sie gegen Deregulierung und Steuersenkung für Konzerne eintraten, erwähnt Stanley nicht.
- Unwirklichkeit: Stanley greift auf Ernst Cassirers antifaschistisches Spätwerk “The Myth of the State” zurück, um gegen John Stuart Mills absolute Redefreiheit zu argumentieren (S.92f.). Mill hätte sich gegen das Verbot von RT (Russia Today) in liberalen Demokratien gewandt, doch deren “verantwortungsbewusste Medien” sollten “bestrebt sein, die Wahrheit zu verbreiten” (S.95). Die so dargestellte “gemeinsame Realität” sei Voraussetzung für eine “gesunde liberale Demokratie” und deren Schwachpunkt sei “extreme wirtschaftliche Ungleichheit”; die sei “Gift für die liberale Demokratie, weil sie Wahnvorstellungen hervorruft” und Demagogen Angriffsflächen biete; bei Kolonialismus, Imperialismus und Sklaverei wären aus extremer Ungleichheit sogar Ideologien einer Überlegenheit von “Ethnie, Religion, Kultur und Lebensweise” entstanden (S.100f.). Fakten werden durch alternative Realitäten ersetzt, um die Wahrheit zu verschleiern und Propaganda zu betreiben; insbesondere, aber keineswegs ausschließlich ginge es dabei um Verschwörungstheorien, deren “vielleicht berühmteste”, die bekanntlich gefälschten “Protokolle der Weisen von Zion”, Antisemiten wie der Auto-Baron Henry Ford verbreitet hätten. Hillary Clinton wäre im “Pizzagate”-Komplott als Päderastin denunziert worden, Obama hätte man mit der “Birther”-Lüge zum Ausländer und verkappten Muslim stilisiert, beides zum Nutzen von Trump (S.87 ff.). Der habe “wiederholt offen gelogen”, die Medien berichteten dies “pflichtbewusst”; “Hillary Clinton hielt sich dagegen an die liberalen Normen gegenseitigen Respekts”, ihren, laut Finlay, einzigen Verstoß gegen diese Normen, sie hätte Trumps Anhänger als “erbärmliche Menschen” bezeichnet, hätten die Medien “ihr immer wieder ins Gesicht geschleudert” (S.96); von den äußerst unfair abgelaufenen innerparteilichen Wahlen um die Präsidentschaftskandidatur, den Clinton und ihr Lager (das Establishment der “Demokraten”) gegen den Partei-Linken Berny Sanders führen ließ, scheint Stanley nichts zu wissen.
- Hierarchie: Faschistische Ideologien betonen die Überlegenheit bestimmter Gruppen -vom Führerprinzip über die Unterwerfung der Frau bis zur Rassenlehre- und rechtfertigen soziale Ungleichheit. Dieser Punkt ist ein besonders neuralgischer in der Argumentation, dessen Diskussion daher hier eingeschoben werden muss, um nicht den Überblick zu verlieren:
Stanley schreibt, Hierarchie sei Mittel zum Machterhalt, aber einer “Art von Macht, welche die liberale Demokratie versucht, zu deligitimieren.” Linke wie rechte Kritiker des Liberalismus, so Stanley, “fokussieren auf die Möglichkeit, dass liberale Ideale existierende Machtunterschiede ausblenden”. Linksorientierte würden sich dagegen wenden, dass Liberale somit bestehende Ungleichheiten festschreiben würden; Rechtsorientierte wären dagegen, ihre Privilegien (also Ungleichheiten) aufzuheben (S.109). Damit betreibt Stanley ein semantisches Hütchenspiel, bei dem plötzlich die liberale Mitte den “beiden Extremen” gegenübersteht, was durch den unscharfen Begriff “fokussieren” überzeugend wirken soll: Links und Rechts “fokussieren” auf Machtunterschiede? Ja, aber die Rechten wollen sie beibehalten, die Linken wollen sie abbauen -was angeblich doch die Liberalen auch wollen.
Stanley erörtert nicht, inwiefern sich Liberale denn für eine Verringerung auch ökonomischer Ungleichheit einsetzen, wie sie die Linke fordert; geschweige denn problematisiert er, dass die weitaus meisten und reichsten Multimilliardäre bzw. Oligarchen gerade aus besagten liberalen Demokratien stammen. Und das, obwohl deren Staaten zudem meist überschuldet und deren Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme unterfinanziert sind, weil –und dieser Kausalzusammenhang wird nur von neoliberalen Ideologen bestritten- die großen Vermögen so wenig besteuert werden, dass sie sich zu unvorstellbaren Summen aufhäufen. Dies spaltet die Gesellschaft und stellt auch die Demokratie vor eine “Zerreißprobe” (Butterwegge 2020, S.393). Die liberale Gleichheit der Rechte endet also da, wo jemand zu arm ist, um sich Lebensnotwendiges kaufen zu können. Da die Einschnitte in Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme für eine überwältigende und wachsende Mehrheit der Bevölkerung die Lebensqualität immer mehr absenkt, stellt sich noch eine andere Frage: Wie demokratisch kann eine “liberale Demokratie” sein, die elementare Bedürfnisse und damit im Endeffekt auch Menschenrechte einer Mehrheit der Bevölkerung mit Füßen tritt?
Warum wählen die Menschen nicht einfach eine Regierung, die Reiche und Konzerne fairer besteuert? Der Propaganda-Experte Jason Stanley bleibt hier etwas wolkig und andererseits wortkarg, wenn es um die Manipulation der Wähler durch Medien geht. Bei mehr Beachtung von Politökonomie und Verteilungsgerechtigkeit wäre ihm vielleicht auch aufgefallen, warum Konzerne und Superreiche die Rechtsextremen so freigiebig alimentieren (von Hitler über die AfD bis zu Trump): Wenn die von der Politik enttäuschten Menschen Rechts wählen statt Links, drohen den Reichen keine Steuererhöhungen; die Medien tun ihren Teil dazu, indem sie stereotyp und irreleitend immer wieder “die Extreme von Rechts und Links” gleichsetzen. Da sich Angst, Hass und Wut leichter wecken und manipulativ einsetzen lassen (Stanley führt für diese faschistische Taktik Steve Bannon als Zeugen an, S.83) als gesellschaftliche Analyse und linke Appelle an Gerechtigkeit, hat es rechtsextreme Propaganda ohnehin leichter, sich durchzusetzen.
- Die Opferrolle: Faschisten stellen sich selbst als Opfer dar, um ihre Aggressionen und die Unterdrückung anderer zu rechtfertigen. Hinter dem Opferstatus steckt oft der befürchtete oder tatsächliche Verlust von Privilegien, d.h. das Absinken in der sozialen Hierarchie, auch durch Herstellung von sozialer Fairness und Beendigung von sozialer Ungleichheit.
- Recht und Ordnung: Ein dauernder Ruf nach Recht und Ordnung, ohne Bezug zur Rechtsstaatlichkeit, wobei die Durchsetzung von „Ordnung“ genutzt wird, um politische Gegner zu unterdrücken. Von Faschisten verfolgte Minderheiten werden als “Kriminelle” hingestellt oder sogar zu diesem Zweck wirklich in die Kriminalität getrieben oder kriminalisiert. In den USA trifft es Schwarze Männer, die überproportional, die Vermischung von Rasse und Sex sei dabei zentrales Narrativ. Faschistische Standard-Propaganda steit dem Ku-Klux-Klan bis zu Donald Trump sei dabei die Erfindung oder der Missbrauch der Vergewaltigung einer weißen jungen Frau durch einen farbigen Migranten, was maximale Empörung auslöse (vgl. hierzulande z.B. den in AfD-nahen Medien umjubelten ARD-Mann Alexander Teske, der solche Fälle vermehrt, sensationeller und unter Kennzeichnung der ethnischen Herkunft des Täters in den Hauptnachrichten präsentieren wollte). Stanley meint: “Vergewaltigungen sind für die faschistische Politik von grundlegender Bedeutung, weil sie sexuelle Ängste auslösen und damit einhergehend die Notwendigkeit, die ‘Männlichkeit der Nation’ durch faschistische Autorität zu schützen.” (S.143)
- Sexuelle Ängste: Faschisten fordern eine Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen und bekämpfen sexuelle Freiheiten, was sich in Antifeminismus, der Diskriminierung von LGBT+ und insbesondere Homophobie äußert.
- Sodom und Gomorrha: Biblisch umschreibt Stanley die moralisierende Ablehnung eines kosmopolitischen, liberal-urbanen Lebens in Großstädten durch die faschistische Weltsicht; ihr korrespondiert eine völkisch-romantische Verklärung des Landlebens.
- Arbeit macht frei: Faschistische Taktik betreibt eine Teilung der Gesellschaft in die angeblich Fleißigen und die angeblich minderwertigen Faulen, v.a. Migranten, Arme, Kranke; Stanley beschreibt dies unter dem auf die zynische Inschrift über nazideutschen KZs verweisenden Titel, denn das KZ als Arbeitslager dient angeblich der Erziehung, in Wahrheit aber der Ausgrenzung, Unterdrückung und Vernichtung. Politökonomisch untergraben Faschisten jedoch die Rechte der Arbeiterklasse, um die Macht der Kapitalseite zu stärken.
Diskussion
Die Elite-Universität Yale ist bislang nicht durch Faschismus- oder Sozialkritik aufgefallen, sondern ist vielmehr bekannt für ihren extrem elitären “studentischen” Skull-and-Bones-Geheimklub, dem z.B. die rechtskonservative US-Präsidenten-Dynastie von George Bush (junior und senior) entsprang (vgl. Landa S.287). Der Yale-Sprachphilosoph Jason Stanley wendet sich diesem Thema trotzdem zu, schwankt aber in seiner Abhandlung zum Faschismus zwischen logischer Analyse und emotionaler familiärer Betroffenheit, was zuweilen argumentative Lücken offen lässt.
Zwei blinde Flecken fallen in der Abhandlung von Stanley sofort ins Auge: 1. Bei seiner Aufzählung westlicher Staaten und Regierungen, die rechtsextreme Politik bzw. faschistische Taktiken betreiben, fehlen Israel und Nethanjahu (dagegen bezeichneten sogar im deutschen Fernsehen die Arte-Nachrichten am 26.12.2025 die Regierung Israels als “rechtsextrem”). 2. Bei Stanleys “Säulen des Faschismus” klafft eine immens wichtige Lücke: Es fehlt der Militarismus, die faschistische Verherrlichung von Krieg und Gewalt zwischen den Völkern, die hellsichtige Mahner seit Jahrzehnten auch in Deutschland wachsen sehen (vgl. Wette 1994). Mit beiden Auslassungen schwimmt Stanley unkritisch im westlichen Medien-Mainstream -der nicht nur bei uns auf “Kriegstüchtigkeit” eingeschworen scheint, weshalb Militarismus-Kritik wegfällt. Dieser westliche Mainstream ist für Stanley offenbar sakrosankt, weil er “die gemeinsame Realität darstellt, die eine gesunde liberale Demokratie voraussetzt.” (S.100)
Zweifel an der “Gesundheit” dieser Mainstream-Realität meldet dagegen die australische Medienkritikerin und ebenfalls Propaganda-Expertin Caitlin Johnstone an, deren “Erste-Hilfe-Büchlein gegen Propaganda” im selben Verlag erschien wie das Buch von Stanley (bei Westend). Gegenüber den von Stanley unentwegt belobigten “liberalen Demokratien” ist Johnstone weniger unkritisch; sie rügt westliche Mainstream-Medien für ihre “heftigen Hetzkampagnen gegen progressive Persönlichkeiten wie Bernie Sanders und Jeremy Corbyn“ (Johnstone S.45), sie kritisiert die jahrelange politische Verfolgung von Wikileaks-Gründer Julian Assange, der Kriegsverbrechen des US-Imperiums aufgedeckt habe. Sie moniert das mediale Hinstellen von Rüstungslobbyisten als unabhängige Experten für die geopolitische Lage, die Bedrohungen erfinden und mehr Geld für Waffen fordern; die Schlagzeile, so Johnstone nicht ohne Polemik, solcher „Nicht-Nachrichten“ sollte lauten: „Kriegsmaschinen-finanzierter Kriegstreiber will mehr Krieg“ (Johnstone S.27). Auch bei der von Stanley beklagten Normalisierung von Faschismus ertappt Johnstone US-Medien: Die renommierte New York Times etwa, so Johnstone, hätte ukrainischen Nazis vom öffentlichen Tragen ihrer Hakenkreuz- und Wolfsangel-Symbole abgeraten, aber „nicht weil Nazismus falsch ist, sondern weil es sich um schlechte Kriegspropaganda handelt“ (Johnstone S.18).
Das Vorwort für Johnstone schrieb der Kieler Kognitionspsychologe Prof. Dr. em. Rainer Mausfeld hat sich hierzulande in vielbeachteten Büchern und Vorträgen gegen eine zunehmende Manipulation der Menschen durch die Medien gewandt -natürlich ohne nennenswerte Resonanz in diesen Medien zu finden. Mausfeld beginnt sein Vorwort mit dem Hinweis, Propaganda sei vielleicht das bedeutendste Thema unserer Zeit: Denn würde „der gesamte Denkraum manipulativ verzerrt“ (Mausfelds Fachgebiet), könnten auch geeignete Lösungen für politische Probleme „im Wortsinn undenkbar“ werden.
Ziemlich undenkbar scheint für Jason Stanley daher wohl die Frage nach faschistischen Taktiken und Praktiken im Liberalismus, Neoliberalismus und damit auch den “liberalen Demokratien”. Der Ideenhistoriker Ishay Landa von der Israeli Open University zeigt dagegen die historischen und ideologischen Wurzeln auf, die Liberalismus und Faschismus verbinden. Seiner profunden Analyse nach spaltete sich der Frühliberalismus in einen politischen und einen Wirtschaftsliberalismus auf, wobei Letzterem neoliberale wie faschistische Ideologien und Bewegungen entsprangen. Gemeinsam hätten Faschismus und Liberalismus den sozialdarwinistischen Glauben an die Bedeutung des Survival-of-the-fittest (in Markt und / oder Biologie) sowie ein Elitenkult, der das angebliche Genie preise (den Führer oder den Finanzmagnaten etwa) und die Massen verachte. Landa identifiziert dabei vier liberale Mythen, die rückblickend dazu dienen sollten, die Wesensverwandtheit mit dem Faschismus zu verschleiern –und die sich bei Stanley wiederfinden, gleich in seiner ersten “Säule” des Faschismus schon die, laut Landa auch bei Liberalen verbreitete Mythologie (zum eigenen Ruhme) selbst. Ishay Landas erster liberaler Mythos: “Faschismus als Tyrannei der Mehrheit”, als “Paradebeispiel für die der Demokratie innewohnenden Gefahren”, die schon auf Tocqueville zurückgehe (Landa S.227). Das Misstrauen gegen die Massen mache ihre Manipulation durch Eliten nötig, weil eine demokratische Herrschaft die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gefährden könne. Dies sind die Wurzeln des Wirtschaftsliberalismus, dem es um Kapitalismus und Profit für Wenige gehe, nicht um Demokratie und Wohlfahrt für die Menschen (die als “Massen” den wenigen Reichen an die Börse wollen). Tocqueville habe in diesem Sinne auch die Kolonialisierung Algeriens betrieben und sogar die Grundlagen für die “Rassentrennung zwischen französischen Siedlern und Arabern” entworfen (Landa S.238).
Steht Stanleys “liberale Demokratie” auch in dieser liberalen Tradition der Elitenherrschaft durch Propaganda? Deren Nestor wäre in den USA der Erzliberale und Propaganda-Theoretiker Walter Lippmann (Landa S.339). Mythos Nr.3 “Die Ursprünge der faschistischen ‘Großen Lüge’ –totalitär oder liberal?” schließt hier an und findet die liberale (und später faschistische) Taktik die Massen zu täuschen nicht nur bei Tocqueville, sondern auch schon bei John Stuart Mill (Landa S.279) sowie bei Neoliberalen und Neocons der US-Elite, etwa G.W.Bush jr. und seinem Militärstrategen Paul Wolfowitz (Landa S.286). Damit würde Landa wohl Jason Stanleys faschistische Säulen 2 und 3 (Propaganda und Unwirklichkeit) als ebenso und womöglich viel effektiver bei Liberalen auffindbar sehen.
Landas Mythos 2 entlarvt, dass nicht nur der Faschismus, sondern auch der Liberalismus auf hierarchische (statt egalitär-demokratische) Kollektive setzt, in denen angebliche “Leistungseliten” die Massen anführen (dies betrifft Säule 5 von Stanley). Landas liberaler Mythos 4 schließlich betrifft den Kosmopolitismus (Stanleys Faschismus-Säule 9), den Liberale heute für sich beanspruchen, während Faschisten rückständigen Nationalismen anhingen; Landa belegt, dass Liberale in der Vergangenheit koloniale Verbrechen zum Nutzen ihrer Nation mindestens billigten und Nationalismus als Bollwerk gegen die internationale Arbeiterbewegung sahen (S.310).
Stanley befasst sich kaum mit der Sicherung ökonomischer Privilegien durch Propaganda und/oder Kriege, er deutet im Kapitel “Propaganda” lediglich kurz die gelegentliche Darstellung von Krieg um bloße Macht als hehren Kampf um Stabilität oder Freiheit an (S.57), was er natürlich nicht auf “liberale Demokratien” bezieht. Eine weitere faschistische Taktik wird von ihm übersehen: Das völlige Verbergen kriegerischer Regierungsaktionen vor der Öffentlichkeit. Propaganda-Experte Prof. Rainer Mausfeld ist weniger zurückhaltend: Er bezeichnet die Lebensweise der westlichen Macht- und Geldeliten als parasitär, sie sei nur durch massive mediale Bewusstseins-Manipulation überhaupt mehrheitsfähig. Die mächtigste “liberale Demokratie”, die USA, zeichne sich durch besondere Kriegsbereitschaft aus, die nicht erst beim Einsatz ihres gewaltigen Militärs beginne: Brutalste Gewaltausübung gegen Zivilbevölkerung sei auch die “Erzeugung von humanitären Katastrophen durch Sanktionen”, der “bevorzugten Waffe der USA und des Westens”, heute würde ein Drittel aller und mehr als 60 Prozent aller armen Länder mit “irgendeiner Art von US-Sanktionen” belegt. Der Grund für die Beliebtheit dieser Methode: Die Leiden der von Sanktionen getroffenen Menschen seien “leichter durch die Massenmedien unsichtbar zu machen als die Folgen einer Verwendung von Bomben” (Mausfeld S.25). Die Opfer würden “abstrakt als Opfer von Hungerkatastrophen, Gesundheits- oder Versorgungskatastrophen” dargestellt, Mausfeld nennt Afghanistan, Irak, Syrien, aber “Kuba und Venezuela sind derzeit den schwesten Formen westlicher Belagerungskriege ausgesetzt, die jemals entwickelt wurden.” (Mausfeld S.26)
Zwischen Wirtschafts- und Angriffskriegen liegt das Feld der Geheimkriege, die ebenfalls völkerrechtswidrig sind und teils als Staatsterrorismus bezeichnet werden müssen (etwa der Anschlag auf die deutsch-russische Pipeline Nordstream). Mausfeld befürchtet solche Anschläge und “false-flag”-Operationen (der Terror wird mittels gefälschter Beweise und Desinformation anderen Akteuren angehängt) seitens CIA, MI6 und Mossad; diese Behörden hätten sich der Regierungsaufsicht und damit jeder demokratischen Kontrolle entzogen und verselbstständigt: “Der Westen verfügt über das mächtigste Netz an Geheimdiensten, das je existiert hat. (…) Es ist der Kern und die Keimzelle totalitärer Herrschaft.” (Mausfeld S.135)
Kritik an Geheimbünden und –diensten wird in unseren Medien schnell mit dem Stigma der “Verschwörungstheorie” belegt, die Stanley als Kennzeichen des Faschismus anführt. Dabei hat er in Yale mit Skull-and-Bones einen der mächtigsten politischen Geheimkulte direkt vor seiner Nase. Die Mutter von Rahel Jaeggi, die ihm das Vorwort schrieb, die Psychoanalytikerin Eva Jaeggi, tauchte kürzlich in einer Arte-Doku über den Tech-Baron Alex Karp auf (Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp). Sie hatte Karp in Deutschland als Doktoranden, vermittelte ihn aber an den berühmten liberalen Philosophen Habermas weiter, zwecks Karriere-Förderung durch dessen Weltruhm. Es hat funktioniert: Karp wurde Multimilliardär und Chef des mächtigen Palantir-Techkonzerns, der von Trump-Förderer Peter Thiel gegründet wurde (finanziert von der CIA) und Überwachungs-, Polizei- sowie Militär-Technologie weltweit bereitstellt und einsetzt. Karp, der auch im Lenkungsausschuss der Bilderberger sitzt, führt damit ein Unternehmen, das im wachsenden privaten Sicherheitsbereich eine zentrale Rolle spielt, zusammen mit vielen anderen privaten Geheimdiensten und Söldnerfirmen (vgl. Barth 2009). Es gehört sicher zu den Technologieriesen, vor denen Stanley als Profiteure heutige faschistischer Aufhetzung der westlichen Gesellschaften warnte (S.27), und vielleicht auch zu dem Geheimdienst-Netz, das Mausfeld als “Kern und die Keimzelle totalitärer Herrschaft” bezeichnete. Bei den derzeitigen Russland-Bedrohungs- und Kriegsertüchtigungs-Narrativen und entsprechend explodierenden Militäretats hat sich der Palantir-Börsenwert prächtig entwickelt. Da die kriegerische Seite des Faschismus bei Stanley weitgehend ausgeblendet bleibt, fehlen auch diese Kritikpunkte an faschistischen Taktiken der von ihm in fast schon naiver Weise idealisierten “liberalen Demokratien”.
Fazit
Das kleine, gut lesbar geschriebene Buch stellt sich deutlich auf die Seite Hillary Clintons und des Establishments der Partei der US-Demokraten. Von dieser Warte aus werden konservative, nationalistische und reaktionäre Politik, v.a. bei Trump, Orban, Putin und Modi (Indien) v.a. mit Hitlers Methoden verglichen und auf ihre Nähe zu faschistischen Taktiken hin untersucht und kritisiert. Dies ist nötig und lobenswert, blendet aber fast völlig die ebenso nötige Untersuchung von Israel unter Nethanjahu sowie die der US-Politik unter Obama, Clinton und Biden aus.

Jason Stanley: Wie Faschismus funktioniert, Neu-Isenburg 2024, Westend-Verlag, 214 Seiten, 22,00 €, AU 23,50 €, ISBN 9783864894435
Quellen
Barth, Thomas: Von Bertelsmann zu Blackwater: Die Privatisierung der Gewalt, in: Altvater, Elmar u.a.: Privatisierung und Korruption: Zur Kriminologie von Globalisierung, Neoliberalismus und Finanzkrise, Anders Verlag, Hamburg 2009, S.88-94.
Butterwegge, Christoph: Die zerrissene Republik. Wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland, Weinheim/Basel 2020, Beltz Juventa Verlag.
Johnstone, Caitlin: Kleines Erste-Hilfe-Büchlein gegen Propaganda. Wie wir unseren Verstand in einer verrückten Welt bewahren können, Neu-Isenburg 2023, Westend Verlag
Elchlepp, Dietrich: Nie wieder wegschauen! Mit Argumenten gegen die Angsterzeugung der Rechtsradikalen, in: Donat, Helmut (Hrsg.) / Lütgemeier-Davin, Reinhold (Hrsg.): Geschichte und Frieden in Deutschland 1870-2020. Eine Würdigung des Werkes von Wolfram Wette, Donat-Verlag, Bremen 2025, S.631-646).
Landa, Ishay: Der Lehrling und sein Meister: Liberale Tradition und Faschismus, Berlin 2021, Dietz Verlag.
Mausfeld, Rainer: Hegemonie oder Untergang – Die letzte Krise des Westens? Neu-Isenburg 2025, Westend Verlag.
Stanley, Jason: Wie Faschismus funktioniert, Neu-Isenburg 2024, Westend-Verlag.
Teske, Alexander: inside tagesschau. Zwischen Nachrichten und Meinungsmache, (3.Aufl. binnen eines Jahres), München 2025, Langen Müller Verlag.
Wernecke, Klaus/ Peter Heller: Medienmacht und Demokratie in der Weimarer Republik. Das Beispiel des Medienzaren und vergessenen Führers Alfred Hugenberg, Brandes&Apsel, Frankfurt/M. 2023.
Wette, Wolfram: ‘Neue Normalität’. Militarisierung und Weltmachtstreben, in: H.-M. Lohmann: Extremismus der Mitte. Vom rechten Verständnis deutscher Nation, Fischer Vlg., Frankfurt/M. 1994, S.193-208.