02/21/22

Projekt „Zivilcourage – Julian Assange“

Spende für das Projekt „Zivilcourage – Julian Assange“ (Wau Holland Stiftung)

Das Projekt “Zivilcourage – Julian Assange” der Wau-Holland-Stiftung hat 16.593 Ether aus der Auktion des “Censored” NFTs erhalten, das der Digitalkünstler Pak versteigert hat.

Die AssangeDAO hat Spenden von mehr als 10.000 Spender:innen weltweit gesammelt, um für das NFT zu bieten – mit Erfolg.

Ein grosses Danke-Schön an alle, die gespendet, mitorganisiert oder anderweitig zum Erfolg dieser Aktion beigetragen haben. Besonderer Dank geht an Pak für seine Grosszügigkeit; 100% des Erlöses gingen als Spende an die Stiftung.

12/13/21

Rezension Nils Melzer: Der Fall Julian Assange

Nils Melzer: Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung – Der spektakuläre Report des UNO-Sonderberichterstatters für Folter, Piper Verlag 2021

Hermine Humboldt

Hat die schwedische Justiz Beweise gefälscht und Zeugenaussagen manipuliert, um einen Vergewaltigungsverdacht gegen Julian Assange zu konstruieren? Der UNO-Menschenrechtsexperte Prof. Nils Melzer war anfangs kein Assange-Unterstützer, aber er nutzte sein diplomatisches Mandat für eigene Ermittlungen im Fall Assange. Der verleumdete Gründer von Wikileaks wurde damit endlich rehabilitiert -doch die Enthüllungs-Plattform war nach zehn Jahren Rufmord- und Hetzkampagne aus dem Bewusstsein der Medienkonsumenten so gut wie ausradiert.

Was hat der Fall Assange mit Netzphilosophie zu tun? Der Schweizer Netzphilosoph Felix Stalder wies schon 2016 in seinem bahnbrechenden Buch „Die Kultur der Digitalität“ auf eine westliche Machtelite hin, die er als „den inneren Kern des postdemokratischen Systems“ bezeichnete, „bestehend aus den Spitzen der Wirtschaft, der Politik und der Geheimdienste“ (Stalder 2016, S.230). Der Begriff „Postdemokratie“ markiert eine Kritik an westlichen Ländern, die von einer schleichenden Entdemokratisierung und Herrschaft von Technokraten ausgeht, die sich ausgeklügelter medialer Massenmanipulation bedient.

„Die Grenzen zwischen postdemokratischen Massenmedien und staatlichen Nachrichtendiensten sind fließend. Wie inzwischen bekannt ist, bestehen zwischen beiden Bereichen personelle Kontinuitäten und inhaltliche Gemeinsamkeiten.“ (Stalder 2016, S.234)

In seinem Buch „Der Fall Assange“ bestätigt Nils Melzer die Analyse seines Schweizer Landsmanns Felix Stalder in spektakulärer Weise: Denn der Fall Assange ist zweifellos einer der größten Justizskandale die wir kennen (sollten). Den jedoch die wenigsten in voller Tragweite zur Kenntnis nehmen können, denn es ist auch ein eklatanter Fall von Medienversagen der westlichen „freien Presse“. An deren tatsächliche Freiheit kann man angesichts ihrer äußerst desolaten (Nicht-) Berichterstattung zu weiten Teilen dieser Story höchstens noch eingeschränkt glauben -wie auch der Philosoph Stalder gut begründet argumentiert hatte. 2010 wurde Julian Assange zum „Staatsfeind Nr.1“ für die USA und Großbritannien und geriet ins Fadenkreuz der mächtigsten Geheimdienste der Welt: Der CIA, NSA, FBI (und der ca. 30 weiteren US-Geheimdienste) sowie der Britischen MI5, MI6 und GCHQ. Diese Dienste warfen, so muss man annehmen, angesichts der Wikileaks-Enthüllungen ihre ganze Macht in die Waagschale. Dazu gehört auch die Macht über Massenmedien, Politik und Justiz vieler Länder -ganz offensichtlich hier der Justiz in Schweden und England.

Mit dem „Afghan War Diary“ veröffentlicht WikiLeaks 2010 das größte Leak der US-Militärgeschichte, mitsamt Beweisen für Kriegsverbrechen und Folter. Kurz danach verdächtigt Schweden WikiLeaks-Gründer Julian Assange der Vergewaltigung, und ein geheimes US-Schwurgericht ermittelt wegen Spionage. Als ihn Ecuador nach jahrelangem Botschaftsasyl der britischen Polizei überstellt, verlangen die USA sofort seine Auslieferung und drohen mit 175 Jahren Haft. Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter für Folter, will sich zunächst gar nicht auf den Fall einlassen. Erst als er Assange im Gefängnis besucht und die Fakten recherchiert, durchschaut er das Täuschungsmanöver der Staaten und beginnt den Fall als das zu sehen, was er wirklich ist: die Geschichte einer politischen Verfolgung. An Assange soll ein Exempel statuiert werden – zur Abschreckung aller, die die schmutzigen Geheimnisse der Mächtigen ans Licht ziehen wollen. Dieses packende Buch erzählt erstmals die vollständige Geschichte von Nils Melzers Untersuchung. (Piper-Verlagstext)

Der UNO-Menschenrechts- und Folterexperte Prof. Nils Melzer war anfangs kein Assange-Unterstützer. Melzer ist ein Anwalt der Menschenrechte, berufen von der UNO, und er nutzte sein diplomatisches Mandat für eigene Ermittlungen im Fall Assange -angefangen bei dem angeblichen „Vergewaltigungsverdacht“ an zwei Schwedinnen, den uns die Medien seit zehn Jahren vor jeder Erwähnung von Julian Assange präsentierten. Kritiker wie der Rezensent oder der Buchautor Gerd R. Rüger haben diese Bezichtigungen niemals geglaubt und immer von einer CIA-Intrige gegen Assange gesprochen -sie wurden dafür als „Verschwörungstheoretiker“ denunziert. Nun zeigt sich, dass wir Recht hatten: Es war eine Justiz-Geheimdienstintrige gegen Assange. Denn Prof. Melzer findet, wie er entsetzt feststellen muss, manipulierte schwedische Justizakten, und schreibt in seinem Buch über „die behördliche Nötigung der beiden Frauen zur Anpassung ihrer Aussagen an das offiziell forcierte Vergewaltigungsnarrativ“ (S.149).

Wikileaksgründer im britischen Guantánamo

London, Juni 2021. Im bestbewachten Knast Ihrer Majestät, dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, dem „britischen Guantánamo“, wird Julian Assange gefangen gehalten. Der wohl bislang bedeutendste Journalist des 21. Jahrhunderts ist auch inhaftiert, weil er die Foltermethoden des berüchtigten US-Gefangenenlagers Guantánamo enthüllte, jenem US-Gulag also, den der ehemalige US-Präsident Barack Obama eigentlich schließen wollte. Aber nicht die Verantwortlichen in den USA, sondern Assange wurde angeklagt: wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente – gutes Recht von Enthüllungsjournalisten – und wegen angeblicher Verstöße gegen das Anti-Spionage“-Gesetz, eines Relikts aus Zeiten des Ersten Weltkriegs. Der Schauprozess dauert an, das Unrechtsregime in London hat gerade, wie erwartet, den US-Anklägern die Auslieferung des politisch Verfolgten genehmigt.

Unsere Medien ARD, ZDF usw. betreiben eine systematisch verwirrende Berichterstattung über die Der-Fall-Assange-Enthüllungen von Nils Melzer, so droht der Kern seiner Botschaft unterzugehen: Die schwedische Justiz hat 2010 gezielt Beweise gefälscht und Zeugenaussagen manipulierte, um einen Vergewaltigungsverdacht gegen Julian Assange überhaupt erst zu konstruieren.

Der UN-Sonderberichterstatters zum Thema Folter ist Schweizer, aber Nils Melzer spricht auch fließend Schwedisch ein sagenhafter Glücksfall in der Sache Assange. Melzer arbeitete sich durch die schwedischen Akten zum Fall Assange. Doch sein bahnbrechendes Fazit wollte in unseren Leitmedien kaum jemand hören. Erst mühsam kämpfte er sich durch Netzmedien (!) wenigstens an den Rand der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jetzt legte er ein Buch vor, das seine Arbeit akribisch beschreibt, „Der Fall Julian Assange: Geschichte einer Verfolgung“, und folgert

Der eigentliche Zweck der Verfolgung von Assange ist nicht in erster Linie die persönliche Bestrafung von Assange, sondern die Etablierung eines Präzedenzfalles mit globaler Abschreckungswirkung für andere Journalisten, Publizisten und Aktivisten, um künftig weltweit jeden strafrechtlich verfolgen zu können, der es wagen sollte, die schmutzigen Geheimnisse der Regierungen ans Licht der Öffentlichkeit zu ziehen.“ Melzer S.230

Prof. Nils Melzer kritisiert die Leitmedien. Zwar würden einige Meinungsbeiträge halbherzig Partei für Assange ergreifen und auch die Gefahr für die Pressefreiheit anerkennen, „doch kein einziges Medienhaus protestiert gegen die den ganzen Fall durchziehende Justizwillkür“ (S.312). Die Justizwillkür zeige sich in der britischen Willfährigkeit gegenüber der US-Anklage vor dem Londoner Gericht:

Schritt für Schritt wurden auch die abwegigsten Argumente der USA kritiklos bestätigt. Gleichzeitig, fast wie im Vorbeigehen, wischte Bezirksrichterin Baraitser sowohl die rechtlichen Einwände als auch die entlastenden Gutachten und Zeugenaussagen der Verteidigung ohne viel Federlesens vom Tisch.“Melzer S.318

Prof. Nils Melzer kommt in seinem Bericht, der sich wie ein Justizthriller liest, also zu Schlussfolgerungen, die sich weitgehend mit dem decken, was Assange-Anhänger seit zehn Jahren skandalisieren: Der WikiLeaks-Gründer wurde Opfer einer Intrige, einer gnadenlosen Rufmordkampagne sowie politischer Verfolgung.

Bei dieser großangelegten Intrige handelt es sich demnach um Staatsverbrechen, für die die Verantwortlichen der beteiligten Staaten – mindestens der USA, Großbritannien, Schweden und zuletzt auch Ecuador – eigentlich vor Gericht gehören würden. Gegen Assange konnten die USA vor Gericht, anders als die Londoner Richterin in ihrem Urteil behauptet, aus Melzers Sicht nichts strafrechtlich Relevantes vorweisen. In einem rechtsstaatlichen Verfahren wäre er schon lange ein freier Mann. Das läuft schließlich auf den Vorwurf der Justizwillkür hinaus.

Westliche Massenmedien als Mittäter

Prof. Nils Melzer zeigt sich in seinem Buch überzeugt, die westlichen Medien hätten sich mit ihrer willfährigen Beteiligung an der Anti-Assange-Rufmordkampagne zu Gehilfen einer perfiden psychischen Folter gemacht – er spricht von „öffentlichem Mobbing“ (S.109). Der UNO-Experte kritisiert auch das anhaltende Ausbleiben medialer Aufmerksamkeit für den Fall Assange. Würden westliche Leitmedien die Justizwillkür angemessen skandalisieren, so seine These, würde das windige Verfahren rasch eingestellt: „Denn wenn Regierungen eines fürchten, dann ist es das gebündelte Scheinwerferlicht und die kritischen Fragen der Massenmedien.“ (S.312)

Beides bleibt jedoch aus. Stattdessen greifen westliche Leitmedien Nils Melzer an, den Überbringer der unbequemen Botschaft: Der skandalösen Botschaft, dass im Westen ein Dissident gefoltert wird, von den eigenen Regierungen, nicht im feindlichen Ausland. Unsere Leit- und Netzmedien ignorieren Melzers Erkenntnisse und berichten lieber noch kleinste und selbst konstruierte Verfehlungen von Julian Assange (wie seine angeblich hungernde Katze im Botschaftsasyl) zehn Jahre mehrheitlich breitgetreten und ihn zu einem Außenseiter stigmatisiert. Rückgratlose Leitmedien sehen bei Melzer nun wohl ihre eigene Erbärmlichkeit bestätigt -von derart autorisierter Stelle, dass sie nur peinliches Schweigen darüber breiten möchten. Melzers Buch ist eine weite Verbreitung zu wünschen, besonders unter Freunden der Netzphilosophie.

Nils Melzer: Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung – Der spektakuläre Report des UNO-Sonderberichterstatters für Folter, (Mitautor: Oliver Kobold ), Piper Verlag 2021, 336 Seiten, 22,00 Euro. https://www.piper.de/buecher/der-fall-julian-assange-isbn-978-3-492-07076-8

11/21/20

Auslieferungsverfahren Julian Assange

Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange: Gerichts-Prozess Diagram

8. November 2020 (Artikel) (short link)

Um den Status und die weiteren Verhandlungsschritte im britischen Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange zu verstehen, hat die Wau Holland Stiftung ein “Extradition Court Process Diagram” in Abstimmung mit dem britischen Anwalt Edward Grange erstellt, der Spezialist für britisches Auslieferungsrecht ist und dem Anwaltsteam von Julian Assange beigetreten ist.

Wir veröffentlichen heute die Version 0.6 die den Weg des Prozesses zeigt bis er möglicherweise vor einem Berufungsgericht landet.

Weitere Versionen werden – auf einer zweiten Seite – das ganze fortführen und versuchen die Komplexität einer möglichen Berufungsverhandlung und die weiteren Schritte darstellen.

von Wau-Holland-Stiftung

01/8/19

Bio-Cyperpunk: Peter Watts‘ Mahlstrom

Peter Watts: Mahlstrom, München 2009, W. Heyne, 511 S., 9,99 Euro. (or. Maelstrom)

Der Cyberspace heißt „Mahlstrom“ und ist bevölkert von digitalen Lebensformen. Nur privilegierten Firmen ist noch zuverlässige Datenverarbeitung möglich -in einer mühsam mit Firewalls verteidigten „Zuflucht“. Teil 2 der Rifters-Trilogie

Rezension von Thomas Barth

Zeit: Irgendwann im nächsten Jahrhundert. Ort: Pazifik, Nordamerika. Autor: Peter Watts, Kanadier aus Toronto, arbeitete angeblich lange als „Unterwasserbiologe“. Ärgerlich: Der Klappentext plaudert ein Geheimnis aus, das der Leser eigentlich auf den ersten 130 Seiten langsam lüften sollte (hier spoilerfrei): „Eines Tages wird in den Tiefen der Meere XXX entdeckt, die eine tödliche Bedrohung für das Leben auf der Erde bedeutet. Kurzerhand wird XXX durchgeführt, der XXX für immer vernichten soll –ohne die im Tiefseelabor tätigen Wissenschaftler vorzuwarnen. Doch eine der Forscherinnen überlebt die Explosion. Sie XXX. Und sie will Rache…“

Der Anfang kommt deshalb etwas langweilig rüber, doch erfreulicherweise wartet Peter Watts mit genug neuen Wendungen auf, um seinem Roman immer wieder neuen Drive zu geben –die Handlungsstränge sprießen aus dem Text wie Tentakeln einer Seeanemone. Und zum Glück hat der Klappentextschreiber einiges nicht ganz verstanden, z.B. handelt es sich nicht um ein XXX…

Freunde der schaurigen Anti-Utopie kommen auf jeden Fall auf ihre Kosten, insbesondere Hypochonder, denn Seuchen aller Art plagen den künftigen Planeten; die Nationalstaaten sind belanglos geworden, Quarantänegrenzen durchziehen Land und Megacities. Die Quebecer wird’s freuen: Nach Wasser- und Energiekriegen hat Französisch das Englische als dominante Weltsprache abgelöst, doch Computer-Simultanübersetzung erübrigt Sprachkenntnisse ohnehin. Cyberpunk-like rüsten sich die Menschen mit Bioimplantaten auf, besonders die Rifters, Tiefsee-Cyborgs wie die rachsüchtige Lenie Clark. Umweltflüchtlinge sperrt man in Massen-KZs an der Küste, der Erzähler schlüpft in die Haut einer KZ-Wächterin –künftig ein Heimarbeitsplatz zur Steuerung von „Mechfliegen“–, eines Partygirls, die dem totalitären Regime frech die Stirn bietet, dann kommt aber eine evolvierende KI-Einheit ins Spiel (Neuromancer als kybernetischer Entwicklungsroman).

Am Tag, nachdem Patricia Rowan die Welt gerettet hatte, kam ein Mann namens Elias Murphy zu ihr, um ihr erneut ein schlechtes Gewissen zu machen. Eigentlich war das gar nicht nötig. Die taktische Anzeige ihrer Kontaktlinsen konfrontierte sie ohnehin schon unablässig mit einer Flut von Tod und Zerstörung, mit Zahlen, die viel zu ungenau waren, um als Schätzwerte durchzugehen. Es waren erst sechzehn Stunden vergangen, und selbst die Hochrechnungen waren nichts als Mutmaßungen. Dennoch versuchten die Maschinen unbeirrt, das Geschehen in Zahlen zu fassen: so und so viele Millionen Menschenleben, so und so viele Billionen Dollar. Als ließe sich die Apokalypse irgendwie dadurch abwenden, dass man sie bezifferte.“ P.Wattson, Mahlstrom

Weitere Hauptfigur ist ein mächtiger „Gesetzesbrecher“, ein hirntechnisch manipulierter Bürokrat mit der Befugnis Quarantänegrenzen zu ziehen und Dekontaminationen einzuleiten, bis hin zu Massenverbrennungen mit Mann und Maus: „Als Achilles Desjardinds die Bühne betreten hatte, war Cyberspace ein von Wehmut erfülltes Fantasiewort gewesen, ähnlich wie Hobbit oder Biodiversität.“

Der Datenraum heißt nun „Mahlstrom“ und ist bevölkert von digitalen Lebensformen, die privilegierten Firmen nur in einer mühsam mit Firewalls verteidigten „Zuflucht“ zuverlässige Datenverarbeitung ermöglichen. Nicht mal in seinen Cybersexfantasien ist Desjardins sicher vor Eindringlingen. Dank der ihm eingepflanzten Handlungsblockade, genannt „das Schuldgefühl“, ist Achilles zudem unfähig unmoralisch zu handeln, also gegen die Interessen seiner Arbeitgeber: Private Multis, Industriemafia und Konsorten beherrschen die Welt. Der fulminante Roman liefert nebenher Einblicke in die perverse Gedankenwelt einer biologistischen Philosophie des Freiheit-oder-Determinismus-Problems.

08/7/17

Macron Campaign Emails

Today, Monday 31 July 2017, WikiLeaks publishes a searchable archive of 21,075 unique verified emails associated with the French presidential campaign of Emmanual Macron. The emails range from 20 March 2009 to 24 April 2017. The 21,075 emails have been individually forensically verified by WikiLeaks through its DKIM system.

The full archive of 71,848 emails with 26,506 attachments from 4,493 unique senders is provided for context.

WikiLeaks only certifies as verified the 21,075 emails marked with its green „DKIM verified“ banner however based on statistical sampling the overwheling majority of the rest of the emails archive are authentic.

As the emails are often in chains and include portions of each other it is usually possible to confirm the integrity other emails in the chain as a result of the DKIM verified emails within it.

Guillaume Poupard, the head of French government cyber security agency ANSSI, told AP on June 1 this year that the method used to obtain the emails resembled the actions of an „isolated individual“. Poupard stated that, contrary to media speculation, ANSSI could not attribute the attack to Russia and that France had previously been subject to hacking attacks designed to falsify attribution.

02/28/17

Nachruf: Armin Medosch

27.02.2017

Felix Stalder

Dieser Nachruf auf Armin Medosch wurde von Felix Stalder für Netzpolitik.org geschrieben.

Armin Medosch (*1962) ist gestorben. Wir haben einen der Pioniere der Netzkultur in Europa verloren, dessen Einfluss präsenter war als sein Name. Wie viele andere Akteure der ersten Stunden passte sein Wirken in keine Schublade. In den späten 1980er Jahren begann er als Medienkünstler in Graz und Wien. Damals, vor dem Internet, war Radio das zugänglichste und offenste Massenmedium, mit dem er im Rahmen des Projekts „Radio Subcom“ zu experimentieren begann, das im neu eingerichteten ORF Kunstradio ausgestrahlt wurde. Dem Radio als Medium, welches Experimente zulässt aber auch viele Menschen erreichen kann, blieb er als Journalist und Künstler bis zuletzt verbunden. Denn er hat Kunst nie als etwas Elitäres verstanden, sondern immer als etwas, das die zentralen Fragen der Gegenwart verhandeln und auch zu einer erweiterten Öffentlichkeit sprechen soll.

Die frühen 1990er Jahre in Europa waren eine Zeit des radikalen Umbruchs und der Utopien. Der Fall der Mauer, die Öffnung des Ostens und das langsame Aufkommen des Internets veränderten die Wahrnehmung von Raum, Zeit und Möglichkeiten tiefgreifend. Neue Geographien und neue Handlungsfelder taten sich auf. Der Markt war nirgends zu sehen, die spärlichen Konsumangebote (Shops im Osten, AOL, Compuserve online) waren nicht der Rede wert und wer was machen wollte, der musste (und konnte!) es selbst tun. Im digitalen Europa brach die Zeit der digitalen Städte (Amsterdam, Berlin, Wien etc) an, und mit ihnen die ersten Versuche, das Internet einer bewusst europäischen Perspektive zu entwerfen, weit weg von der „Frontier“ Mystik des US-Amerikanischen Cyberspace.

Eines der ungewöhnlichsten Projekte dieser Zeit, das alle diese Dinge und noch viel mehr miteinander verband, war das »stubnitz kunst.raum.schiff«. Das 80 Meter lange Schiff war Teil der Hochseefischfangflotte der DDR und hätte 1992 verschrottet werden sollen. Als Teil einer internationalen Künstlergruppe hatte Armin wesentlichen Anteil daran, dass das Schiff zu einem Produktions- und Präsentationsort für Kunst und Kultur umgebaut wurde. Ein schwimmendes Medienlabor und Ausstellungszentrum mit Satellitenverbindung für Fernsehen und Internet, Performanceräumen, mit einer zum Konferenzraum umgebauten Offiziersmesse. 1994 wurden die Häfen von Petersburg, Malmö, und Hamburg angefahren mit einem umfassenden Programm von Konferenzen, Seminaren, Ausstellungen, Workshops, Konzerten. Wie das Netzwerk Medienkunst schreibt: „Mit der Stubnitz verband sich die Vision von kulturellen Begegnungen in Europa, die nationale, territoriale Grenzen ignorieren können und die Offenheit und Freiheit der Meere zur Metapher erheben.“

Aber Kunstraumschiffe leben nicht lange. Wieder an Land übernahm er die Leitung des neugegründeten Medienlabors in München. Daraus entstand das Projekt Telepolis, eine Ausstellung zur „interaktiven“ (heute würde man sagen „smarten“) Stadt, die in Luxemburg, der Kulturhauptstadt 1995, stattfand. Aus diesem Projekt ging das Online-Magazin Telepolis hervor, welches er gemeinsam mit Florian Rötzer gründete und als dessen Redakteur er von 1996 – 2002 arbeitete. Auch das war echte Pionierarbeit. 1996 nutzten gerade mal 3% der Deutschen das Internet, es gab keine Blogs, sozialen Medien oder ähnliches. Telepolis war eines der ersten, wenn nicht das allererste, reine online Medium eines großen deutschen Verlags, Heise. Unter der fähigen Leitung der Redaktion kam rasch ein großes Netz an freien AutorInnen zusammen, die sich aus etablierten Namen, wie etwa Stanislav Lem wie auch – vor allem durch Armin vermittelt — vielen jungen Autoren, die das Internet aus eigener Anschauung kannten. Mir persönlich, damals Student in Kanada, gab er erste Gelegenheiten zu publizieren.

In den ersten Jahren des Bestehens wurde Telepolis zum zentralen Medium eines experimentellen, politischen und weitblickenden Netzdiskurs und schlug wichtige Brücken zwischen der Netzkultur im engeren Sinn und einer größeren Öffentlichkeit. Von dieser Leistung profitiert der Netzdiskurs in Deutschland bis heute. Während sich das Internet langsam zu etablieren begann, blieb Armin fokussiert auf das Neue und das Experimentelle. Davon zeugen nicht zuletzt zwei Bücher die er im Heise-Verlag publizierte: Netzpiraten. Die Kultur des elektronischen Verbrechens (2001) (gemeinsam mit Janko Röttgers) und Freie Netze (2003).

Wie vieles was Armin tat, waren die Themen dieser Bücher ihrer Zeit voraus. Nicht nur im deutschsprachigen Kontext. Nach Jahren des Journalismus zog es ihn wieder stärker in die Kunst, die er aber nie als Alternative zum gesellschaftlichen Engagement verstand, sondern immer als eine andere Form davon. Die Spartentrennungen, die heute wieder so stark gemacht werden, zwischen Technologie und Politik, Kunst und Theorie haben ihn nie interessiert. Mit der ihm eigenen Vehemenz hat er eine Position vertreten, die diese Ebenen gleichzeitig artikulierte und entsprechend auch immer wieder unbequem aneckte.

In den Jahren nach Telepolis folgten einen Vielzahl von kuratorischen Ausstellungsprojekten, etwa mit dem Medienkunstzentrum RIXC in Riga, die theoretisch immer anspruchsvoller wurden. Daraus ergab ein verstärktes Interesse am Zusammenhang zwischen großen gesellschaftlichen Transformationen und den spezifischen Möglichkeiten der Kunst und Kultur, darauf einzuwirken, beziehungsweise diese ins Bewusstsein zu bringen. Wissenschaftlich fundiert wurde das Ganze während eines Ph.D. (Goldsmith, London) und mündete in das Buch New Tendencies: Art at the Threshold of the Information Revolution (1961-1978) (MIT Press, 2016), das die überraschenden Anfänge der Medienkunst als Reflexion des Endes der Industriegesellschaft nachzeichnet.

Einigen dürften während der Transmediale im Januar auf Armins Krankheit aufmerksam geworden sein. Dort konnte er sein sein letztes großes Projekt Technopolitics, bei dem wir auch wieder intensiv zusammengearbeitet haben, schon nicht mehr persönlich präsentieren, sondern nur noch via Stream im Krankenbett verfolgen. Technopolitics – wie alle seine Projekte – war kollaborativ, transdisziplinär angelegt, als Versuch, der Orientierungslosigkeit der Gegenwart, eine vertiefte Beschäftigung mit historischen Prozesse und der persönlichen Verstricktheit darin entgegen zusetzen.

Mit Armin Medosch verlieren wir einen Pioneer der Netzkultur, der sich nie um disziplinäre, institutionelle und soziale Grenzen scherte. In einer Zeit, in der sich Welten auseinander bewegen, in der die Tendenz sich vor der chaotischen Welt in die eigene Nische zurück zu ziehen, immer stärker wird, sollte uns dies Ansporn sein, Brücken zu bauen, offen zu denken, das Neue mit Lust und Kritik zu fördern und radikal zu handeln.

(Reblogged von https://netzpolitik.org/2017/nachruf-armin-medosch/)

01/12/17

Rezension Felix Stalder: Kultur, Digitalität & Entmündigung

Stalder, Felix: Kultur der Digitalität. Suhrkamp Verlag (edition suhrkamp, Bd.2679), Berlin 2016, 283 S., 18,00 Euro, ISBN 978-3-518-12679-0.

Thomas Barth

Felix Stalder ist ein Schweizer Kulturphilosoph, der sich in seinem Buch „Kultur der Digitalität“ mit der Ko-Evolution von digitalen Technologien, Gesellschaft und Kultur befasst. Er warnt darin unter Berufung auch auf Edward Snowden und Julian Assange vor einer schleichenden Entmündigung, die auf uferlose Überwachung und technokratische Massenmanipulation setzt.

Stalders interdisziplinärer Ansatz verbindet philosophisches Denken mit Soziologie, Medien- und Politikwissenschaft, um Digital- und Internetkultur zu analysieren und das utopische Potential digitaler Commons mit ihren Open-Source-Projekten zu beleuchten. Er blickt dabei auch auf dunkle Wurzeln und Gefahren der Digitalität, die er vor allem in Neoliberalismus, Profitorientierung und bei westlichen (!) Geheimdiensten lokalisiert; dies überrascht, denn sonst kreisen westliche Diskurse über Manipulationen im Internet eher um russische und chinesische Geheimdienste. Stalder warnt vor Gefahren von Algorithmisierung, Überwachung und massenmanipulativer Post-Demokratie, zieht jedoch letztlich ein optimistisches Fazit. Die Commons zeigen trotz heutiger Dominanz der Technokraten mit ihrer neoliberalen TINA-Ideologie („There is no alternative“, Thatcher/Merkel S.206) einen offenen „Raum der Zukunft“ (S.281).

Stalder entwirft ein facettenreiches Bild der digitalen Kultur, die geprägt sei von Fluidität, Vernetzung und stetigem Wandel, bei dem sich unser Verständnis von Raum, Zeit, Identität und Macht grundlegend veränderte. Er stellt die These auf, dass die Digitalität sich nicht in technologischer Innovationen erschöpft, sondern durch neue Formen der Selbstorganisation, des politischen Engagements und der kulturellen Produktion geprägt ist. Katalysator ist dabei das Internet als Medium mit spezifischen Formen des Austauschs. Drei zentrale Formen der Kultur der Digitalität sind die Referentialität (kulturelles Material wird ubiquitär zugänglich und fließt in eine explodierende Produktion von Kulturgütern), die Gemeinschaftlichkeit (kulturelle Ressourcen werden geteilt und Bedeutungen durch stetige Kommunikation stabilisiert) und die Algorithmizität (die Informationsflut wird digital geordnet, aber ebenso werden Gesellschaft und Politik technokratisch entpolitisiert).

Kooperation und der Begriff der Digitalität

Zentrales Anliegen Stalders sind Potenziale der Digitalität für eine demokratische und partizipative Gesellschaft. Er plädiert dafür, bestehende Hierarchien aufzubrechen und neue Formen der Kooperation zu ermöglichen -vor allem in digitalen Commons, deren Wurzeln er in der Open Source und Open Software-Bewegung schon der frühen Internet Communities sieht, etwa den Debian-, GNU- und Linux-Projekten. Darin zeige sich eine digital möglich gewordene Neuverhandlung von gesellschaftlichen Werten und Normen im digitalen Zeitalter: Anstelle staatlicher Hierarchien und Profitorientierung der Konzerne trete die freie Kommunikation der Netze, die auf Meritokratie und Freiwilligkeit basiere. Das Linux-Betriebssystem Ubuntu zeigt in seinem Namen nicht zufällig eine interkulturelle Referenz auf den vielschichtigen Begriff der Bantusprache, der Menschenwürde und vernetzte Gemeinschaftlichkeit verbindet (vgl. Afrotopia von Felwine Sarr).

Stalder definiert den Begriff der Digitalität als eine kulturelle Struktur, die sich durch die Veränderung von Wissen, Macht und Kommunikation in der digitalen Ära auszeichne. Digitale Technologien haben zwar einen tiefgreifenden Einfluss auf verschiedene Aspekte unseres Lebens, vom individuellen Verhalten über soziale Interaktionen bis hin zur politischen Organisation.

Laut Stalder ist Digitalität jedoch keineswegs nur eine technologische Entwicklung, sondern vielmehr eine komplexe kulturelle Dynamik, die unsere Vorstellungen von Wahrheit, Realität und Identität in Frage stellt. Er reklamiert eine „im weitesten Sinne poststrukturalistische Perspektive“, Kultur sei heterogen, hybrid und „von konkurrierenden Machtansprüchen und Machtdispositiven durchzogen“, von „Begehren, Wünschen und Zwängen“ getrieben, Kultur mobilisiere diverse Ressourcen in der Konstituierung von Bedeutung (S.17).

„’Digitalität‘ bezeichnet damit jenes Set von Relationen, das heute auf Basis der Infrastruktur digitaler Netzwerke in Produktion, Nutzung und Transformation materieller und immaterieller Güter sowie der Konstitution und Koordination persönlichen und kollektiven Handelns realisiert wird.“ (S.18)

Damit solle jedoch nicht Digitaltechnik ins Zentrum gerückt oder Digitales von Analogem abgegrenzt werden. Analoges würde nicht verschwinden, sondern „neu- und teilweise sogar aufgewertet“. „Digitalität“ verweise vielmehr auf historisch neue Möglichkeiten der Konstitution und Verknüpfung von Akteuren (menschlichen wie nichtmenschlichen):

„Der Begriff ist mithin nicht auf digitale Medien begrenzt, sondern taucht als relationales Muster überall auf und verändert den Raum der Möglichkeiten vieler Materialien und Akteure.“ (S.18)

Stalder knüpft an den Begriff des „Post-Digitalen“ von Florian Cramer an, der damit Praktiken bezeichnet, die sich zwar in Digitalmedien entwickelten, deren offene Interaktionsform sich jedoch immer weiter verbreite. Stalders Begriff der Digitalität vermeide jedoch das missverständliche Präfix „Post-“, das fälschlich so gelesen werden könne, dass „etwas vorbei sei“, und löse sich zugleich von Cramers technikfixiertem Kontext der Medienkunst. Stalder nimmt in diesem Sinne die ganze Gesellschaft in den Blick, denn „…die Präsenz der Digitalität jenseits der digitalen Medien, verleiht der Kultur der Digitalität ihre Dominanz.“ (S.20)

Nicht technologische Entwicklungen allein hätten der Digitalität den Weg gebahnt, sondern auch Politik, Kultur und Ökonomie. Wichtig erscheinen Stalder insbesondere der Aufstieg der Wissensökonomie und der Kritik an Heteronormativität und Postkolonialismus. Die Wissensökonomie habe seit den 1960ern explizit den wachsenden Informations- und Wissensbedarf von Behörden und Konzernen in westlichen Konsumgesellschaften thematisiert. Dazu gehöre die Massenmanipulation durch immer ausgefeiltere Werbung, Propaganda und PR, die der Freud-Neffe Edward Bernays maßgeblich entwickelte:

„Kommunikation wurde zu einem strategischen Feld für unternehmerische und politische Auseinandersetzungen und die Massenmedien zum Ort der Handlung… Eine Medienindustrie im modernen Sinne entstand, die mit dem rasch wachsenden Markt für Werbung expandierte.“ (S.29f.)

Man sprach in den 1980ern und 90ern von „Informations-“ und später „Netzwerkgesellschaften“, in denen -neben der Digitalisierung- eine Flexibilisierung der Arbeit mit neoliberalem Abbau der Sozialstaaten einherging. Der Freiheitsbegriff wurde dabei von neoliberaler Politik und den seit den 1960ern wachsenden „Neuen Sozialen Bewegungen“ konträr definiert: Neoliberal als Freiheit der Märkte, sozial als persönliche Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen (S.33). Exemplarisch für Letzteres behandelt Stalder die Schwulenbewegung in Westdeutschland, Rosa von Praunheim, den Bonner Tuntenstreit 1974, die Aids-Krise ab 1983. Diversität und Hybridisierung der Kultur der Digitalität wurzele in emanzipativen Bewegungen, deren Erfolg sich spätestens 2014 beim European Song Contest in der breiten Öffentlichkeit manifestierte -mit der Stalder seine Abhandlung eingeleitet hatte: „Conchita Wurst, die glamouröse Diva mit Bart, war die Gewinnerin“ (S.7), sie habe komplexe Geschlechterkonstruktionen „zumindest ansatzweise mainstreamfähig“ gemacht (S.48):

„Conchita Wurst, die bärtige Diva, ist nicht zwischen widerstreitenden Polen zerrissen. Sie repräsentiert vielmehr eine gelungene Synthese, etwas Neues, in sich Stimmiges, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass die Elemente der alten Ordnung (Mann/Frau) sichtbar sind und zugleich transzendiert werden.“ (S.99)

Schattenseiten: Algorithmizität und Post-Demokratie

Die Digitalität ermöglicht laut Stalder neben hybrider Diversität auch neue Formen der Partizipation und Vernetzung, die zur Demokratisierung von Wissen und Kommunikation führen können. Gleichzeitig birgt Digitalität aber auch Risiken, wie die Manipulation durch Algorithmen, Filterblasen und Desinformation. Zugleich seien Algorithmen jedoch prinzipiell unabdingbar, um in einer diversen und hybriden Explosion der Kultur mit ihrer wachsenden Unordnung orientiert zu bleiben. Ohne Suchmaschinen etwa könne heute kein Archiv mehr die digitalen Datenmassen, Texte und Kulturprodukte bewältigen.

Algorithmen automatisieren Kulturtechniken wie die Inhaltsanalyse von Bildern oder das Schreiben von Texten: Der Chef der Firma „Narrative Science“, die automatisierte Sport- und Finanzberichterstattung anbietet, habe 2012 für die nächsten Dekaden eine Ersetzung von neunzig Prozent der Journalisten durch Computer angekündigt. Bedenklich sei, „dass sich auch die CIA für Narrative Science interessiert und über ihre Beteiligungsgesellschaft In-Q-Tel in das Unternehmen investiert hat, ist ein Hinweis darauf, dass bereits heute Anwendungen jenseits des Journalismus entwickelt werden. Zu Propagandazwecken lassen sich mit Algorithmen beispielsweise problemlos massenhaft Einträge in Onlineforen und den sozialen Massenmedien erstellen.“ (S.175)

Dynamische Algorithmen können sich sogar halbautomatisch-eigenständig weiterentwickeln: 2012 habe Google mit solchen „deep learning“-Verfahren die „Gesichtserkennung in unstrukturierten Bildern“ um siebzig Prozent verbessert (S.180). In ausufernder Überwachung greife heute ein „Daten-Behaviorismus“ nach unserer Privatheit, in einem „Revival eines nach wie vor mechanistischen, reduktionistischen und autoritären Ansatzes“. Diese Haltung ungehemmter Kontrolle unseres Verhaltens finde sich bei jenen, die über umfassende Beobachtungsmöglichkeiten verfügen, „dazu gehören neben Facebook und Google auch die Geheimdienste westlicher Länder“ (S.201). Dabei ginge es neben der gern genannten „Serviceverbesserung“ aber auch um soziale Normierung (erprobt in unethischen psychologischen Experimenten, wie man Stalder hier ergänzen könnte) sowie „Profit- oder Überwachungsoptimierung“ (S.202). Anders als viele deutsche Medienwissenschaftler, die an dieser Stelle der Analyse krampfhaft mit den Fingern auf „russische Trolle“ und den chinesischen Überwachungsstaat zeigen, beweist der Schweizer Felix Stalder Rückgrat und kritisiert die eigenen, die westlichen Machteliten (was besagte Kollegen wohl eher nicht aufgreifen dürften).

Assange, Snowden und Entmündigung im libertären Paternalismus

2013 habe, so Stalder, Edward Snowden die „flächendeckende Überwachung des Internets durch staatliche Geheimdienste“ enthüllt (S.233). Felix Stalder zitiert den Wikileaks-Gründer Julian Assange und resümiert: „Die Grenzen zwischen postdemokratischen Massenmedien und staatlichen Nachrichtendiensten sind fließend. Wie inzwischen bekannt ist, bestehen zwischen beiden Bereichen personelle Kontinuitäten und inhaltliche Gemeinsamkeiten.“ (S.234) Die USA hätten seit 2011 z.B. „ein eigenes Programm zu sozialen Massenmedien mit dem Namen ‚Social Media in Strategic Communication‘. (…) seit 2009 vernetzt die Europäische Union im Rahmen des INDECT-Programms Universitäten und Sicherheitsorgane mit dem Ziel ‚Lösungen und Werkzeuge der automatisierten Gefahrenentdeckung zu entwickeln’… Überspitzt könnte man sagen, dass die Missachtung der Grundrechte mit der Qualität der so geschaffenen Dienstleistung ‚Sicherheit‘ legitimiert wird.“ (S.235f.)

Leider sei die Gegenwehr gegen eine in westlichen Gesellschaften so geschaffene soziale Atmosphäre der Angst gering geblieben. Hinter Überwachung und Massenmanipulation stehe in den heutigen Postdemokratien, die demokratische Politik durch technokratisches Gouvernance ersetzen, eine neoliberale Anti-Aufklärung. Obsolet sei heute für die Machteliten „…die aus der Zeit der Aufklärung stammende Annahme, der Mensch könne sich durch den Einsatz seiner Vernunft und die Ausbildung seiner moralischen Fähigkeiten verbessern und sich aus seiner Unmündigkeit durch Bildung und Reflexion selbst befreien.“ (S.227) Eine kybernetische Sicht sehe den Menschen als dressierbare Versuchsratte, die mit subtilen „Nudges“ (Schubsern) zu steuern sei, so Richard Thaler und Cass Sunstein.

Die beiden Neobehavioristen bezeichnen ihr System als „libertären Paternalismus“, der eine „freiheitliche Bevormundung“ anstrebe, was bei den Regierungschefs in Washington und London, Obama und Cameron, so viel Anklang fand, dass sie Thaler und Sunstein in ihre Teams holten (S.228f.). Besonders in den sozialen Massenmedien (also den „sozialen Medien“, Stalder benutzt diesen gängigen Begriff jedoch nicht), ließe sich die mediale Umgebung via Nudging manipulieren. Dies geschehe vor allem im Dienste einer Gruppe, die Stalder als „den inneren Kern des postdemokratischen Systems“ bezeichnet, „bestehend aus den Spitzen der Wirtschaft, der Politik und der Geheimdienste“ (S.230). Viele Mainstream-Konformisten dürften in dieser simplen und analytisch untadelig abgeleiteten politischen Erkenntnis bereits angebliche „Verschwörungstheorie“ oder sogar „-ideologie“ wittern. Denn medial und in der akademischen Forschung werden die von Stalder aufgezeigten Fakten und Zusammenhänge geradezu krampfhaft ignoriert. Es ist zu befürchten, dass genau diese krampfhafte Ignoranz künftig zumindest diese Teile von Stalders Buch betreffen wird. Machtstrukturen dieses Kalibers werden bislang selten öffentlich diskutiert und dies geschieht dann oft nur in künstlerisch verfremdeter Form, wie etwa bei Mark Lombardi.

Stalder ruft im Fazit dazu auf, die Dynamik der Digitalität kritisch zu reflektieren und sich aktiv mit den Auswirkungen digitaler Technologien auf unsere Gesellschaft auseinanderzusetzen. Indem wir die Chancen und Herausforderungen der Digitalität verstehen, können wir Freiheit und Autonomie im digitalen Raum bewahren und weiterentwickeln: Obwohl „die Postdemokratie das Politische selbst abschaffen und alles einer technokratischen Alternativlosigkeit unterordnen will“, beweise die Entwicklung der blühenden Commons das Gegenteil, meint Stalder und schließt sein Buch mit dem Verweis auf utopische Potentiale der Digitalität: „Diese Widersprüchlichkeit der Gegenwart öffnet den Raum der Zukunft.“ Ausbaufähig scheint an Stalders Argumentation die Subjektkonstitution im Netz, die mit der Konzentration auf Kommunizieren, Posten und Liken wohl noch nicht ausreichend erfasst ist, sowie deren Verknüpfung mit Foucaults Konzept des Panoptismus.

12/21/16

German BND-NSA Inquiry Exhibits

Today, 1 December 2016, WikiLeaks releases 90 gigabytes of information relating to the German parliamentary inquiry into the surveillance activities of Germany’s foreign intelligence agency Bundesnachrichtendienst (BND) and its cooperation with the United States‘ National Security Agency (NSA).

The 2,420 documents originate from various agencies of the German government including the BND and Federal Office for the Protection of the Constitution, Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) and were submitted to the inquiry last year in response to questions posed by the committee. They include administrative documents, correspondence, agreements and press reactions. They also include 125 documents from the BND, 33 from the BfVand 72 from the Federal Office for Information Security (BSI).

The collection offers a detailed insight, not just into the agencies themselves, but also into the mechanics of the inquiry. Several documents detail how the agency in question collated the information that was requested of them. For example, a BND document shows its preparations for collecting internal information on which private US companies are operating in the security sector in Germany. Such internal processes are particularly pertinent to the inquiry. The committee has been trying (unsuccessfully so far) to gain access to the full selector list that the BND holds regarding who they spy on at the behest of the US. The BND is withholding this list from the inquiry on the grounds that releasing it could imperil the BND’s relationship with the NSA.

Whilst a number of facts have already come to light as a result of the inquiry including WikiLeaks’ publication of inquiry transcripts last year this substantial new collection of primary source documents provides significant new evidence. The collection contains early agreements between the BND and the NSA and internal processes at the BND, but also more recent details on the close collaboration between the two agencies. For example, one document from the BND states that a BND employee will be tasked to use and write software for XKeyscore, an NSA system for searching and analysing data collected through mass surveillance.

A number of the documents show how intelligence agencies find ways to work around their own government. Documents pertaining to an audit visit by Germany’s data protection agency to the BND’s offices show that BND officers withheld the notes made by the auditors during their visit. The BND would only release the notes to the auditors once they had checked the content for themselves.

The inquiry was established in 2014 in the wake of the Snowden revelations, which showed that not only was the NSA spying on the whole world, but it had also partnered with the intelligence services of particular states to spy on their citizens and those of the surrounding regions. One of these countries is Germany, which has had a close relationship with the US in military and intelligence matters since its occupation by US forces in WWII. The US has been shown to use its bases in Germany and its relationship with German intelligence to spy on German citizens as well as European Union institutions.

WikiLeaks revelations of NSA spying on Angela Merkel and top officials at German ministries, the EU and France also contributed to the political impetus of the inquiry.

The depth of this relationship had been unknown to the German public and much of its government. The outrage that was sparked by the Snowden NSA revelations led to the establishment of the inquiry, which later called for Mr Snowden to testify at it. Whereas there was initially unanimity among German political parties in 2014 for Snowden to provide expert testimony, the government deemed that guaranteeing that he would not be handed over to the US (a condition imposed by Snowden for testifying) would damage Germany’s political relationship with the United States. Subsequently, the Greens and the left-wing party (Die Linke) filed an official complaint to force the German Parliament to hear Mr Snowden.

Last week, on 21 November 2016, Germany’s Federal Court of Justice upheld the complaint and ruled that the committee was obliged to hear Edward Snowden in person. However, at the next inquiry hearing three days after the ruling, Chancellor Angela Merkel’s Union bloc and the Social Democrats removed Snowden’s invitation from the agenda of the inquiry and are contesting the Court’s decision.

Julian Assange said: „This substantial body of evidence proves that the inquiry has been using documents from Mr Snowden and yet it has been too cowardly to permit him to testify. Germany can not take a leadership role within the EU if it’s own parliamentary processes are subservient to the wishes of a non EU state.“

von WikiLeaks

01/10/16

Oskar Roehler: Hippies, Marx & Punk

Kinokritik von Thomas Barth

„Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“ D 2015: Kritik zu einem Film von Oskar Roehler

Deftiger Autorenfilm von Oskar Roehler: Eine klamaukafkaeske Ekelsex-Ödipusdramödie; eine grelle Welt von Sex, Drogen und Paranioa im Westberlin der 80er Jahre, die selbsttherapeutische Abrechnung eines verstörten Zeitgenossen mit Schulzeit und Eltern.

Roehler greift in seinem Film Themen auf und artikuliert Abneigungen, die jenseits des Atlantik in der NRx-Bewegung zu beobachten sind, er dabei liefert zugleich Parodie und Psychogramm für Proteste, wie sie auch in der Punk-Kultur auftauchen. Die neoreaktionäre NRx-Bewegung in den USA führt einen erbitterten Kulturkampf (dark enlightenment) gegen Alt-68er-Hippies und deren Nachkommen, die angeblich übermäßig verhätschelte „Generation Snowflake“ der Millenials, auch Gen Y oder Digital Natives genannt (Geeks for Monarchy). Deren antiautoritäre Hippie-Eltern hätten ihren Nachwuchs in Watte gepackt und ihm ständig dessen Einmaligkeit (wie eine Schneeflocke) trotz tatsächlicher Mittelmäßigkeit versichert. Die neoreaktionäre Alt-Right-Bewegung beruft sich auf Film und Buch „Fight Club“, wo so benannte Snowflakes brutal zu Kämpfern umerzogen werden. Im rechtslibertären Milieu der US-Gesellschaft vereinen sich neokonservative bis nationalistische, faschistoide bis nazistische Strömungen mit heftigen anarchischen Tendenzen, die gegen Staat und Spießertum rebellieren wollen. Der angepasste Spießer als Feindbild wird mit linksliberalen, grün-alternativen, sogar sozialistisch-marxistischen Einstellungen identifiziert, welche Neurechte bei uns als „grünlinks-versifft“ bekämpfen. Wie lassen sich aber linksradikale Punks mit faschistoiden Neurechten, Skinheads oder Neonazis in Zusammenhang bringen? Oskar Roehler gelingt das Kunststück auf unterhaltsame Weise, wenn auch teilweise jenseits der Ekelgrenze.

Nazi & Punk vereint gegen 68er-Hippies

Robert (Tom Schilling), ist Roehlers 18-jähriges Alter Ego aus seinem autobiographischen Roman „Herkunft“ (2011), der in „Die Quellen des Lebens“ eine erste schrille Verfilmung erlebte. „Tod den Hippies“ geht mit surrealen Flashlights sparsamer um. Robert erlebt seine Schulzeit als eine Hölle der Hippies. Hassfigur ist der Politik-und-Sozialkunde-Lehrer, der, von den hübschesten Schülerinnen angehimmelt, marxistische Parolen abfragt und dabei eitel seine Hippiemähne zurückwirft. Im Lehrerzimmer und auf den Gängen des Gymnasiums sitzt das Kollegium im Schneidersitz meditierend mit kreisenden Joints und zelebriert ein nie endendes Woodstock für Oberstudienräte. So weit, so surreal.

Roberts einziger Kumpel heißt Gries. Er ist ein schwuler Nazi, der es noch viel schlechter hat als der Jungpunker, denn er ist hässlich, dumm, brutal und laut. Nur sein deutscher Schäferhund liebt ihn und umgekehrt. Gemeinsam ist den beiden Außenseitern, dem Punk und dem Nazi, vor allem ihr Hass auf Hippies, Motti: „Scheiß-Hippies, verdammtes Gesockse“ und „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“

Die Masse der Schüler sind treudoofe 68er-Mitläufer und basteln Schilder für pädagogisch angeleitete Protest-Demos, die unter Führung der bekifften Lehrer stattfinden. Roberts Schülerliebe ist ein ähnlicher Alptraum, seine altkluge Freundin plant schon jetzt Studium und Karriere bis zur Pensionierung. Sie will, dass beide wegen der finanziellen Sicherheit „auf Lehramt machen“ und flippt aus, als Robert sich eine punkige Irokesen-Frisur zulegt. Damit treibt sie ihn endgültig in die Flucht, denn Robert will kein Kuscheln im Plüschpullover mehr, sondern Latex, High Heels und pralle Möpse.

Auch Gries, der in der Schule zwar von alten Nazi-Verbindungen seines Vaters zum Rektor zehrt, bekommt Schwierigkeiten: Er kann nur schwer geheim halten, schwul zu sein –denn betrunken grölt er andauernd „Arschficken für alle“ und nüchtern ist er selten. Probleme bekommen Gries und Robert auch wegen der Schülerstreiche der beiden, gegen die derbste „Fuck you, Goethe“-Szenen wie die biermeierliche ARD-Serie „Lindenstraße“ wirken. Anschlagziel wird gut ödipal natürlich der eitle Oberlehrer-Hippie, eine weitere Vaterfigur. Am Ende kratzt Robert die Kurve, bricht die Schule ab und flüchtet aus seiner spießigen Schülerliebe , aber vor allem aus dem Flower-Power-Schulhorror, während hinter ihm ein paar schwerbewaffnete Übeltäter seine Gewaltphantasien als Schulmassaker in Szene setzen.

Westberlin – Berlin (West)

So macht sich Robert auf nach Westberlin, damals das Fluchtziel für viele 18jährige, nach denen das Kreiswehrersatzamt greifen wollte: In Berlin (West) gab es keine Wehrpflicht, ein guter Tipp, wenn man weder Neigungen zu Bundeswehr noch zum Zivildienst (womöglich alten Leuten den Hintern putzen) verspürte. Doch er kommt vom Regen in die Traufe, denn die schöne neue Welt von Sex, Drogen und Punkmusik gibt es nicht umsonst für den jung-nihilistischen Poeten („Ich schreibe vom Tod“). Tagsüber schrubbt er die Kabinen einer Peep-Show, fühlt sich aber zu Höherem berufen („Die wichsen hier wie die Weltmeister, Mann, ich komm kaum nach. Das ist nix für mich, ich bin Künstler, Mann.“), später muss er sogar Kotbeutel von Pflegeheimpatienten entleeren, die Senoiren verfolgen ihn als Zombies in seine Träume –Roehler spart nicht mit Ekelszenen.

Roberts Eltern werden ebenfalls eklig dargestellt, besonders die Mutter deftig und prall verkörpert von Hannelore Hoger (TV-Kommissarin „Bella Block“). Sie will Robert zum Mord am Erbonkel überreden, während sein Vater (Samuel Finzi) als düsterer Lektor, Verleger und Kassenwart der RAF (Rote Armee Fraktion) auf 200.000 DM Restbeute sitzt und den Sohn mal drohend, mal kumpelhaft mit seinen kruden Moralvorstellungen traktiert: „Der Mann sollte beim Sex immer oben liegen, klassische Missionarsstellung. Du allerdings wurdest von hinten gezeugt.“

Trotzdem genießt Robert die Freiheit in der anarchisch-punkigen Subkultur und verbringt die Nächte in der Kreuzberger Bar „Risiko“, wo Ikonen wie Blixa Bargeld („Einstürzende Neubauten“) oder Nick Cave herumhängen. Wodka wird in Biergläsern ausgeschenkt, Koks und Punkmusik dürfen nie fehlen. Obwohl üppige Sozialhilfe beim Amt abholen leichter ist als Brötchenkaufen („Außenbahnzuschußpauschale, Vergütungsmittelpauschale, da kriegen Sie 1475 Mark. Wenn sie mehr brauchen, können Sie morgen wieder kommen.“), wischt der staatsverachtende Anarchist Robert weiter Sperma (anders als Ayn Rand, die Ikone der US-Rechtslibertären, die zeitweise von der Stütze lebte). In seiner Peepshow holt Robert auch das Essen für die Models und verliebt sich in eine „Sweinebraten“-liebende Stripperin aus New York, sie gestehen sich gegenseitig den Hass auf ihre Eltern.

Autobiographie eines Punks

Oskar Roehler, der selbst 1981 im geteilten Berlin landete, greift auf eigene Erinnerungen zurück und entwirft ein grotesk-obszönes Bild vom West-Berlin der frühen 1980er, das als glamouröses Schaufenster des Westens inmitten der realsozialistischen DDR lag: Eine Insel von Luxus, Exzess und Ekstase, aus der heraus nackte Mädchen mit ihren entblößten Brüsten Ostberliner DDR-Grenzersoldaten zuwinkten. Seine Darstellung der Anarchoszene zeigt trashige junge Leute, die jede Sinnsuche aufgegeben haben. Punk als Nihilismus, der in anarchischem Hedonismus, in schneller Lust mit Sex und Drogen schwelgt. Verkannte Künstler wie Robert und gebrochene Figuren wie Gries passen perfekt in diese Kulisse. Oskar Roehler zum Thema „schwule Nazis“: „Ich liebe diese brachialen, ungeschliffenen Typen. Sie bringen Chaos in die Sache, weil ihre Ausrichtung politisch, gefühlstechnisch und sexuell unausgegoren ist. Das sind meine liebsten Nebenfiguren. Dieser Gries weiß ja im Grunde überhaupt nichts genau.“

Oskar Roehlers Eltern waren ein glückloses Schriftstellerpaar der Generation 68: Gisela Elsner und Klaus Roehler waren literarische Hoffnungen in Westdeutschland. Die Auseinandersetzung mit seinen Eltern scheint das beherrschende Thema für Oskar Roehler zu bleiben. Schon im Film „Die Unberührbare“ setzt sich Roehler mit seiner psychisch labilen Mutter (eindringlich gespielt von der nicht verwandten Hannelore Elsner, die eigentlich Elstner heißt) auseinander, die sich 1992 das Leben nahm. Damals kam sie noch vergleichsweise gut weg, im neuen Werk wird sie zu einem Muttermonster dämonisiert. In Roehlers Film „Der alte Affe Angst“ ging es dagegen um eine Vaterfigur, und auch „Die Quellen des Lebens“ arbeiten sich an der Lebensgeschichte Roehlers ab, nebst Schatten der Nazi-Zeit, geistiger Wohlstandsverwahrlosung der Oberschicht und der epidemischen Verbreitung von Gartenzwergen in deutschen Vor- und Kleingärten. Jetzt kämpft sich Oskar Roehler in „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ durch einen weiteren Teil seiner Biographie, bekennt sich zu Punk, Sex und Drogen.

Kinostart: 26.03.2015 (der Film wurde inzwischen vom Öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt -abseits der Hauptsendezeiten)

Auch erschienen bei filmverliebt.de 26. März 2015

05/28/15

WDR: Interaktiver Themenabend Überwachung

Am Donnerstag, 28. Mai veranstaltet der Westdeutsche Rundfunk einen interaktiven Themen-Abend zu digitaler Überwachung. Die Whistleblower Edward Snowden und Julian Assange werden live zugeschaltet und Zuschauer.innen können sich über das Internet beteiligen.

Johanna Springhorn 27.05.2015

Am Donnerstag, 28. Mai hat der Westdeutsche Rundfungk einen „interaktiven Überwachungsabend“ im Programm: Überwachung und Bespitzelung findet täglich durch Geheimdienste und Konzerne statt. Aber was bedeutet diese ständige Überwachung für den einzelnen Menschen?

Supernerds im Theater, Radio und TV

Unter dem Namen „Supernerds“ bringt die Kölner Regisseurin Angela Richter ein Theaterstück über Enthüllung und digitale Überwachung auf die Bühne, das an diesem Abend Premiere feiert. Parallel wird in einem WDR-Studio nebenan eine Livesendung mit Bettina Böttinger stattfinden, die auf das Theaterstück Bezug nimmt. Fernsehen und Theater sollen gegenseitig aufeinander reagieren. Außerdem sendet das WDR3 Radio live mit Max von Malotki von der Bühne des Theaterstücks.

Zuschauer.innen erleben Folgen von Überwachung

Zuschauerinnen und Zuschauer werden in das Geschehen auf der Theaterbühne eingebunden: „Wir fordern die Zuschauer auf, ihre eigenen Daten preiszugeben“, sagte eine Sprecherin. Durch die Preisgabe ihrer Daten können Sie erfahren, wie angreifbar Menschen werden, wenn Sie bestimmte Details von sich zu veröffentlichen. Wer sich auf das Experiment einlassen möchte, kann sich im Vorfeld auf www.supernerds.tv anmelden und persönliche Daten wie Geburtstage und Mobilfunknummern angeben. Und auch während der Show wird Interaktion im Stück möglich sein.

Live: Edward Snowden und Julian Assange

Die Supernerds-Regissuerin Angela Richter hat Snowden, Assange und weitere Enthüller im Vorfeld getroffen und mit ihnen Interviews zur alltäglichen Überwachung geführt. Im Rahmen des Supernerds-Abends sollen sowohl Snowden als auch Assange live zugeschaltet werden.

Digitale Dissidenten – Die Dokumentation

Im Anschluss an die Live-Übertragung des Theaterstücks SUPERNERDS zeigt das WDR-Fernsehen um 22:15 Uhr die 90-minütige Hintergrund-Dokumentation „Digitale Dissidenten“. Der Film fragt nach der Motivation und den Schicksalen von Whistleblower.innen, Hacker.innen und Aktivist.innen, u.a. mit Edward Snowden, Julian Assange, Daniel Ellsberg, Thomas Drake und William Binney.

Weitere Vorstellungen des Theaterstücks Supernerds

Das Theaterstück Supernerds wird elf weitere Male auf der Bühne aufgeführt. Live ist die Veranstaltung jeweils im WDR-Fernsehen und auf www.supernerds.tv im Stream zu sehen. Auch hier ist die Beteiligung von Zuschauer.innen eingeplant.

(reblogged von https://digitalcourage.de/blog/2015/interaktiver-themenabend-zu-ueberwachung-im-wdr)

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